Andreas Rödder – offensichtlich Ideengeber für CDU/CSU-Narrative und -Aktionen 

Der Spiegel Nr.13 vom 22.3.2025 veröffentlichte einen Essay von Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte und Leiter der Denkfabrik „Republik 21“ mit dem Titel „Konservative Neuerfindung“. Dessen Inhalt erschien so ganz untypisch für die Ausrichtung des Magazins. Da der Autor aber Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission war und Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung ist, müssen seine Äußerungen als hinreichend gesellschaftspolitisch relevant angesehen werden. Tatsächlich scheint Rödder wesentlichen Einfluss auf und Anteil an Ausrichtung und Agieren der CDU/CSU in den zurückliegenden Monaten und Jahren gehabt zu haben.

 

Er schreibt: „Die Ampel … war ein Produkt der Hegemonie des grünen Denkens in den Zehnerjahren. ‚Woke is broken‘ heißt die Devise in den USA Donald Trumps.“ ...„Nachhaltig überzeugen wird eine Regierung nur mit einer eigenen Idee, sowohl gegenüber grüner Ideologie als auch gegenüber neurechten Narrativen. An der Bedeutung politisch-kultureller Fragen hat US-Vizeprässident J.D. Vance … am 14. Februar keinen Zweifel gelassen. Sie sind kein Schaum auf der Welle, sondern die Tiefenströmung, auf der die Welle fließt.

Mit seinem Einstieg in die Materie setzt er gleich mehrere markante Zeichen: Mit Begriffen wie ‚Produkt der Hegemonie des grünen Denkens‘ und „eigene Idee gegenüber grüner Ideologie

markiert er, wogegen die CDU/CSU sich abzugrenzen hat. Mit dem Wort ‚Ideologie‘ wird grüner Politik Einseitigkeit unterstellt. Dass grüne Vorstellungen und Forderungen gestrig sind (Denken der Zehnerjahre), wird an mehreren Stellen zum Ausdruck gebracht. Die Verbindung zu Markus Söder und seinen Anfeindungen gegenüber den Grünen liegt auf der Hand. Verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass er als Zeugen des Wertewandels ausgerechnet Devisen von Donald Trump und Vizepräsident Vance anführt. So verdeutlicht sich, auf wessen Wellen geritten wird. Und von ‚neurechten‘ Narrativen zu sprechen, wirkt in diesem Zusammenhang eher verharmlosend.

Rödder ist offensichtlich um ein neues CDU/CSU-Narrativ bemüht. Allerdings können Narrative nur dann eine politisch förderliche Wirkung entfalten, wenn sie vom Boden der Tatsachen ausgehend konstruktive Entwicklungslinien vermitteln können. Leider kann man in seinem Text statt Zukunftsfähiges und Zukunftsweisendes nur Allgemeinplätze finden, zum Teil mit sprachlicher Öffnung nach Rechtsaußen. Inhaltsleere Narrative eigenen sich zu destruktiver Kritik, nicht aber als Schutz gegen ein Abgleiten in Autoritarismus.

Noch einmal Rödders Worte: „Das grüne Paradigma, das weit über die grüne Partei hinausreichte, beruht auf einem negativen Selbstbild der bürgerlich-liberalen Gesellschaft, die als zerstörerisch, ungerecht, strukturell rassistisch und diskriminierend angesehen wird…. Kritik daran (an einer gendergerechten Sprache) wird einer „Meldestelle Antifeminismus“ überstellt, die ebenso staatlich finanziert wird wie Trägerorganisationen der Demos „gegen rechts“ - womit längst nicht mehr nur die AfD, sondern mehr als die Hälfte der Gesellschaft gemeint sind.“

Mit ‚Hegemonie‘, ‚Ideologie‘ und jetzt auch noch ‚Paradigma‘ wird das ganze Spektrum von verantwortungsvoller Umweltpolitik, Bürgerbewegung, grüner Transformation und Ringen um Erhalt der uns tragenden Natur mithilfe unpassender Begrifflichkeiten so zurechtgestutzt, dass es sich handlicher entwerten lässt.

Ganz jenseits der Realität befindet er sich bei seinem „Kulturkampf“ gegen das Gendern: er stellt die Meldestelle Antifeminismus faktenwidrig quasi als Kritik-/Beschwerdestelle für ‚Fehlverhalten‘ dar. Tatsächlich ist aus der Homepage der Meldestelle zu erfahren: „Die Meldestelle Antifeminismus ist eine Anlaufstelle für Betroffene. Es geht darum, ihre Erfahrungen und Perspektiven sichtbar zu machen. Außerdem werden Betroffenen Unterstützungsangebote vermittelt. Die gemeldeten Fälle werden anonymisiert und in einer Chronik dokumentiert, um Antifeminismus in all seinen Erscheinungsformen abzubilden und das Dunkelfeld zu erhellen. Die Kriterien zur Bewertung der Fälle basieren auf etablierten fachlichen und wissenschaftlichen Standards.“ (Hervorhebung von N.B.) Von einem Historiker der neuesten Geschichte dürfte man faktenbasierte differenziertere Äußerungen erwarten.

Mit seinen sich anschließenden falschen Behauptungen zur angeblich staatlichen Finanzierung nicht nur der Meldestelle sondern auch der Trägerorganisationen der Demos „gegen rechts“ erweist sich Rödder ganz offensichtlich als Ideengeber für die ‚Kleine Anfrage‘ der CDU/CSU auf über 500 Seiten zur angeblich staatlichen Verbändefinanzierung. Auch hier Ist Rödder an einer Stimmungsmache gegen Bürgerengagement beteiligt, das für Demokratie und gesellschaftlich relevante Werte eintritt.

Weiter im Text heißt es: „Die „Brandmauer“ ist die goldene Fessel, mit der die rot-grüne Linke die Union in die Gefangenschaft ihrer Deutungshoheit nimmt.“ Die Brandmauer gegen Rechtsaußen ist O-Ton Friedrich Merz. Das soll jetzt wie bei einem Taschenspielertrick Rot-Grün in die Schuhe geschoben werden nach dem Motto: ‚war alles nicht so gemeint‘. Und Rödder fährt fort: „Die Zurückweisung dieses Anspruchs ist für die Union lebenswichtig.“ Was soll zurückgewiesen werden? Weg mit der Brandmauer? Hier lässt sich mühelos die Verbindung zu Jens Spahns Vorstoß herstellen, die in Teilen rechtsextremen AfD im Bundestag zu ‚normalisieren‘.

Aus den vielen als konservative Neuerfindung ausgegebenen Allgemeinplätzen sei ein Beispiel genannt: „Im Zentrum eines christdemokratischen Denkens steht das politische Selbstbild einer offenen Gesellschaft mit klaren Grenzen.“ „Diese Gesellschaft bedarf weder eines autoritär aufgerüsteten noch eines libertär-kastrierten, sondern eines starken, weil schlanken Staates, der Rahmen setzt, innerhalb derer Wirtschaft und Gesellschaft Kreativität entfalten und Verantwortung übernehmen können.“ Einzig aufhorchen lässt der Begriff „starker, weil schlanker Staat.“ Was könnte damit gemeint sein? Etwa das Kaputtsparen der vergangenen zwei Jahrzehnte? Oder ein bisschen Motorsäge? Konkret Programmatisches sucht man vergebens – so hatte sich auch der weitgehend inhaltsfreie Begriff der Politikwende im Wahlkampf der CDU/CSU dargestellt, der sich an undurchführbaren Asyleinschränkungen und Bürgergeld-Nebenschauplätzen abarbeitete, trotz drängendster Zukunftsaufgaben. Und selbst solche Allgemeinplätze enthalten überflüssige Gegenüberstellungen mit fragwürdigen Subtexten: „Sie (die Union) muss selbstbewusst und ohne Angst vor Ablehnung und Zustimmung von welcher Seite auch immer eigenständig begründete Positionen beziehen. Dabei unterscheidet sie der Grundwert der Gleichwertigkeit aller Menschen sowohl von fundamentalistischen Muslimen als auch von völkischen Nationalisten.“ Ist bei dieser mutigen Allerweltsabgrenzung erforderlich, die Wortverbindung von fundamentalistisch und Muslime zu benutzen?

Richtig zur Sache geht es wieder, wenn es um grüne Politik geht: „Die deutsche Energiewende ist nicht erst an Robert Habecks Heizungsgesetz gescheitert, sondern an ihrer moralischen Hybris. Der ‚Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen‘ legte 2011 den ‚Gesellschaftsvertrag für die Große Transformation‘ vor als eine dritte welthistorische Revolution… Doch der moralische Anspruch zaubert Energie nicht aus der Steckdose. Die deutsche Trias – alles elektrisch, alles aus Erneuerbaren, keine Kernenergie – funktioniert nicht “ Ist die Energiewende gescheitert? Hat Herr Rödder vergessen, dass die Unionsgeführte große Koalition CO2-Reduktionsziele beschlossen hatte, für die das Bundesverfassungsgericht anschließend hinreichend konkrete Umsetzungsschritte verlangt hatte? Wenn Hybris, dann doch eher in der Art, wie hier verantwortungsvolles politisches Handeln mit vorzeigbaren Erfolgen realitätsfern als gescheitert abqualifiziert wird. Und was für Alternativen werden aufgezeigt, um dem rasanten Klimawandel zu begegnen? Nur Politik nach dem Motto: „Johann geh Du voran?“

Natürlich fallen die Begriffe Bürgergeld und Migration, die sprachlich auseinander genommen werden und damit deren Inhalte nebenbei negativ konnotiert werden (s. Beitrag ‚Apropos Bürgergeld‘).

Die weiteren wortreichen Ausführungen im Essay bleiben so allgemein, dass der Mangel an Inhalten erschreckt. Deutschland braucht dringend eine konservative Partei, die glaubwürdig an christlichen und bürgerlichen Werten und am Erhalt und Schutz demokratischer Strukturen und einer lebbaren Umwelt orientiert ist. Es bleibt die Hoffnung, dass ein Kanzler Friedrich Merz und die CDU/CSU in Regierungsverantwortung zur Umkehr fähig ist und statt Narrative zu bedienen, die die Schwelle zur AfD senken, sich auf ihre christlichen und sozial-mitmenschlichen Wurzeln besinnt.