Der Staat Israel, der Antisemitismus und die Bekämpfung der Hamas-Terroristen. 

In dem kleinen, lesenswerten Buch „Sagt, hab ich recht?“ sind drei Reden von Jan Philipp Reemtsma wiedergegeben (Sämtliche Zitate aus dem Buch in kursiv). Im ersten Kapitel, seiner ersten Rede, setzt sich Reemtsma mit der Aufklärung und den diesbezüglichen Veröffentlichungen von Christoph Martin Wieland auseinander. Darin hebt Wieland die besondere Bedeutung der Freiheit des gedruckten Wortes hervor, wie auch der Ausspruch Wielands als Untertitel des ersten Kapitels ausweist: „Die Freiheit der Presse als Synonym für ‚Aufklärung‘“ (Presse hier im Sinne der Druckerpresse).

Die folgenden zwei Kapitel des Buches nehmen unmittelbar Bezug auf die Geschehnisse um Israel und die Gräuel der Hamas. Sie sind relevant als Grundlage zu allen Überlegungen und Beurteilungen des israelischen Kriegs gegen die Hamas-Terroristen.

Im dritten Kapitel, der dritten Rede, schildert Reemtsma die Spätwirkung der schrecklichen Gräuel von Magdeburg im Dreißigjährigen Krieg: Dort wurden am 20. Mai 1631 mehr Menschen auf bestialische Weise massakriert als Soldaten in den verlustreichsten Schlachten starben. Reemtsma stellt in der historischen Einordnung eine Verbindung zu den Gräueltaten der Hamas vom 23.Oktober 2023 her.

Die Abscheu, das Entsetzen und Erschrecken über den Zivilisationsbruch von Magdeburg wirkte bis in die Moderne nach und führte zu einer „Transformation der gesellschaftlichen Einstellung zur Gewalt“. Gewalt wurde legitimationsbedürftig. „Die Vorstellung, Kriege dürften nur auf begrenztem Terrain, sogenannten Schlachtfeldern,von dazu verpflichteten Truppen ausgetragen werden, gehört in den Rahmen der wachsenden Gewaltdistanz des europäischen Selbstverständnisses und hat auch eine Ursache in der Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges.“

Allerdings: „Mit dem deutschen Rassen- und Vernichtungskrieg in der Sowjetunion war nach der Einhegung der Kriegsgewalt nach dem Dreißigjährigen Krieg eine neue Dimension kriegerischer Gewalt in die Geschichte gekommen: der unterschiedslose Tod von Soldaten und Zivilisten nicht als zufälliges Ergebnis, nicht als Mittel, militärischen Widerstand zu brechen, sondern als Kriegsziel.

Reemtsma geht zuletzt auf die Gräueltaten der Hamas ein. „Die Hamas ist wohl die erste Guerilla, die sich zu dieser Willkür (wie bei dem Massaker von Magdeburg – Ergänzung von N.B.) nicht nur bekannt hat, sondern mit ihr um weltweite Sympathie warb. Sie hat Erfolg damit. Diese Sympathiekundgebungen mit der auf einmal durch das Oktober-Massaker symbolisierten ‚palästinensischen Sache‘ begannen unmittelbar nach den Morden, und nachdem die Hamas die Bilder ihrer Gräuel weltweit verbreitet hatte. ... Diese Sympathiekundgebungen waren keine Reaktion auf den Verteidigungskrieg, den Israel Wochen später begann. Sie sind ein Bekenntnis zu den Taten selbst – und damit, historisch, ein Bekenntnis zur Liquidierung des Fortschritts, den die Einhegung der Gewalt nach Magdeburg gemacht hat.“ ...

Im Falle des Gaza-Krieges ist die bedeutsame Trennung von Zivilisten und Kombattanten in besonderer Weise nahezu unmöglich gemacht. Diese Trennung hat in der Folge des Dreißigjährigen Krieges die europäischen Kriege bis zum Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion, die diese programmatisch außer Kraft setzte, geprägt...Die Hamas hat den gesamten Siedlungsraum Gaza zum Terrain gemacht, von dem aus der Angriff auf Israel – auf die israelische Zivilbevölkerung – vorgetragen wurde… Dieser Angriff in Permanenz hat seinen Höhepunkt im Oktober-Massaker von 2023. Sie hat damit Gaza zu einem Terrain gemacht, das nach diesem Datum als Ganzes Ziel eines Verteidigungskrieges werden musste. Da die Verteidigungsbasis der Hamas ein große Teile des Gaza-Gebiets unterhöhltes Tunnelsystem ist, wurden die Häuser über den realen oder vermuteten Tunneln ein militärisch notwendiges Ziel, um diese Tunnel zu zerstören.. Es ist die Strategie der Hamas, Israel zu einem Krieg zu zwingen, wo die Bomben (wo es nicht zu Evakuierungen kommt) unterschiedslos Hamas-Krieger, Menschen, die ihren Krieg unterstützen, und solchen, die in diese Hölle geraten sind, bloß weil sie da wohnen, treffen.“

Man muss sich diese Tatsachen immer wieder vor Augen führen, um sich klar zu machen, wie schwer zu beurteilen ist, inwieweit es zurückliegend um berechtigte Verteidigungsnotwendigkeiten ging oder um ungerechtfertigte Gewaltanwendung. Dennoch ist inzwischen unzweifelhaft, dass das militärische Vorgehen der israelischen Regierung Formen angenommen hat, die nicht mehr von einem legitimen Kriegsziel gedeckt sind und gegen grundlegende Regeln des Völkerrechts verstoßen.

Im zweiten Kapitel, der zweiten Rede, setzt sich Reemtsma mit dem seit Jahrtausenden verbreiteten Antisemitismus auseinander. Schon die Überschrift ,Antisemitismus: Was gibt es da zu erklären?‘ deutet die Quintessenz seiner Ausführungen an, die zuletzt so zusammengefasst wird: „Der Antisemitismus ist ein Angebot, Mitglied einer internationalen Ressentimentgemeinschaft zu sein, ungetadelt und ungehemmt bösartig zu sein und die Schranken der Zivilisation einzureißen.

Reemtsma macht in diesem Kapitel in komprimierter Form Ausführungen zur Geschichte des Staates Israel, die hier als wörtliches Zitat wiedergegeben sind. Darin werden vielleicht nicht so bekannte historische Zusammenhänge beleuchtet, die helfen können, die seit Staatsgründung prekäre Lage Israels angemessener zu bewerten.

Zur Legitimierung antijüdischer Gewalt wird gegenwärtig weltweit eine jede Wirklichkeit entstellende Geschichte Israels erzählt. Hier seien nur gängige Stichworte aufgezählt: Israel sei ein kolonialistisches Projekt, Israel sei eine kolonialistische Siedlergesellschaft, die Existenz Israels sei illegitim (weil die britische Kolonialmacht kein Recht gehabt habe, die jüdische Besiedlung Palästinas zu befördern) – lassen wir es dabei. Die Einwanderung aus Europa und dem übrigen Nahen Osten Ende des 19. und im Laufe des 20. Jahrhunderts erfolgte in ein Land, das immer schon und kontinuierlich auch - nicht mehrheitlich – von Juden bewohnt war. Was wir heute den Nahen Osten nennen, war Teil … des Osmanischen Reiches. Dessen Ende nach dem Ersten Weltkrieg führte zu der Übertragung einer Mandatsgewalt über Palästina auf England. Kein kolonialistisches Nachfolgeunternehmen, aber zweifellos eine Maßnahme aus kolonialistischer Attitüde: Die Neugestaltung von Teilen dessen, was zuvor das Osmanische Reich gewesen war, müsse vom Westen durchgeführt werden.

Die Grenzen, die gezogen wurden, waren willkürliche Grenzen, wie alle nationalen Grenzen auf diesem Globus. Es sind nur eben Grenzen gewesen – wie auch die Grenzen der Länder, die an die Stelle der afrikanischen kolonialen Gebiete traten – mit denen die herrschenden oder an die Herrschaft gebrachten Eliten einigermaßen einverstanden waren. England hatte in der Balfour-Deklaration zwar 1917 vage eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ versprochen, dann aber versucht, die jüdische Einwanderung zu begrenzen. ...

Nachdem Großbritannien 1947 seine Mandatsverpflichtungen an die UNO als Nachfolgerin des Völkerbundes zurückgegeben und seine Truppen aus Palästina abgezogen hatte, rief der jüdische Nationalrat die Gründung des Staates Israel aus, der sofort von den USA und der Sowjetunion anerkannt wurde, worauf arabische Truppen Israel angriffen, aber auch versuchten, Jordanien daran zu hindern, das Westjordanland zu annektieren. Nach einem Waffenstillstand hat daraufhin die UNO-Vollversammlung die Teilung Palästinas entlang der Waffenstillstandslinien in einen jüdischen und einen (noch zu schaffenden) palästinensischen Staat gutgeheißen. Man kann sagen, dass Israel der einzige Staat der Welt ist, dessen Grenzen durch eine internationale Staatenmehrheit legitimiert worden ist.

Im Verlauf des ersten israelisch - arabischen Krieges flohen etwa 750.000 Palästinenser aus dem Staatsgebiet Israels oder wurden von dort vertrieben. Eine noch größere Anzahl Juden wurde aus den arabischen Gebieten vertrieben und floh nach Israel. All dies sind schreckliche Ereignisse, aber sie sind nicht typisch für den Nahostkonflikt. Man denke an die Erlangung der Unabhängigkeit von Indien und Pakistan und die folgende Flucht von Indus nach Indien, von Moslems nach Pakistan – an die 20 Millionen Menschen waren betroffen. Man denke an die wenigstens 12 Millionen nach 1945 vertriebenen Deutschen – nicht völkerrechtskonform, aber aus guten Gründen im Laufe der Jahre von fast allen Deutschen akzeptiert. Immer tragen irgendwelche Menschen die Konsequenzen von Kriegen, Friedensschlüssen, bi- oder multinationalen Vereinbarungen, die nicht gefragt worden sind. ... Israel hat die nach Israel aus den arabischen Ländern Vertriebenen integriert, die arabischen Länder haben bis heute die palästinensischen Flüchtlinge nicht aufgenommen, diese müssen nach wie vor in Lagern leben.

Jede sogenannte Israelkritik, die diese Tatsachen bestreitet oder verleugnet, macht offenkundig, dass es ihr nicht um historische Wahrheit geht. Worum dann? Wer den Massenmord der Hamas im Oktober 2023 mit nachdenklichen Vokabeln weichzeichnen möchte, wer von Befreiungskampf redet, wo von den angeblichen Befreiungskämpfern selbst nicht von Befreiung, sondern von Zerstörung die Rede ist, wer vergisst, dass die ersten Raketenangriffe aus Gaza nicht eine Antwort auf die Besatzung von Gaza, sondern eine Antwort auf das Ende der Besatzung von Gaza gewesen sind, der zeigt vor aller Welt, dass es ihm – wie der Hamas – darum geht, dass es einen jüdischen Staat, der sich gegen die, die seine Zerstörung und die Ermordung und Vertreibung seiner Bevölkerung planen, verteidigen kann, nicht geben soll. Sie gehen soweit dass sie sich mit einer religiös fanatischen Mörderbande, die alle Ideale bekämpft, die von ihnen doch sonst hochgehalten werden, die sich im Oktober 2023 gezeigt hat als das, was sie von Anfang an war, fanatische, antisemitische, misogyne, homophobe Mörder aus Spaß an der Sache, die aus diesem Geiste eine religiöse Tyrannei errichten wollen, solidarisch erklären. Dass es hierzulande Menschen gibt, die sich für Vertreterinnen oder Vertreter humaner Ideale halten und doch solche Sympathien hegen, ist leider nicht erklärungsbedürftig. Dahinter steckt nichts, es ist bloß die Fortsetzung der langlebigsten, längst nicht mehr nur abendländischen Obsession, die so bösartig und verrückt ist, weil es in ihr einen Konsens gibt, so bösartig und verrückt könne man doch nicht ohne Grund sein. ... Man erklärt sich nicht solidarisch mit einer Mörderbande, wenn man nicht ihre Mordaktionen billigt.“

Die eindringlichen Worte von Reemtsma verdeutlichen noch einmal, wie abgründig Zielsetzung und Vorgehen der Hamas (gewesen) sind. Man erinnere sich nur noch an die zuletzt in all dem Chaos und Leiden der palästinensischen Bevölkerung abgehaltene abscheuliche Inszenierung bei der Übergabe der israelischen Geiseln: Nicht nur das Leben der Israeli, auch das der palästinensischen Bevölkerung ist den Hamas-Terroristen nichts wert, außer in ihrer Funktion als Schutzschilde. Die klare Darstellung von Reemtsma macht deutlich: Es kann keine Friedensordnung mit der Hamas geben. Das haben inzwischen auch wichtige arabische Staaten erkannt und anerkannt.

Zwei Tage nachdem ich diesen Beitrag zusammengestellt hatte, verbreitete die Hamas die schrecklichen Bilder von den gefangen gehaltenen, zu Tode abgemagerten Geiseln im Internet - ein Zeugnis dieser abscheulichen Mörderbande.