Landwirtschaft und Ernährung – für platte Machtspiele viel zu wichtige Themen

Markus Söder hat mit der Auswahl von MdB Alois Rainer, Metzgermeister, für den Posten des Landwirtschaftsministers wohl ein persönliches Statement abgegeben und zusätzliche mit seiner Bemerkung unterstrichen: „Jetzt gibt es wieder Leberkäs statt Tofu-Tümelei“. Nun ist die Besetzung eines Ministeramtes mit hoher politischer Verantwortung keine Witzelei, auch kein Platz für platte persönliche Statements - erst recht nicht gegenwärtig, wo es darum geht, sowohl Wege aus der Klimakrise als auch aus der Demokratiekrise zu finden.

Statt den Zusammenhalt demokratischer Parteien zu stärken, dichtet Söder erneut mit Tofu-Tümelei der Partei der Grünen ein abfälliges, diffamierendes Etikett an. Er folgt dabei der von Andreas Rödder (s. Homepage-Text zu Andreas Rödder vom 16.04.2025) vorgezeichneten Linie, der „eigene Ideen“ von Christdemokraten „gegenüber grüner Ideologie“ forderte. So versucht Söder das Narrativ der verbohrten grünen Ideologen durch ständige Wiederholungen zur einer kontrafaktischen sozialen Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei lässt er jedoch gleichzeitig die „eigenen Ideen“ zu einem verantwortungsvollen Politikwechsel vermissen. Die Themen Landwirtschaft und Ernährung sind viel zu wichtig, als dass wir uns ein weiter so oder gar einer Richtungsumkehr zu mehr Fleischproduktion und -konsum leisten könnten.

 

1. Betrachtet man die nüchternen Zahlen, so sind derzeit laut WWF bis zu 37 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf das globale Ernährungssystem zurückzuführen: 12 Prozent direkt durch den Anbau und Viehhaltung, 12 Prozent durch Umnutzung von Wald- und Wildnisflächen, weitere 13 Prozent durch Lebensmitteltransport, Kühlung und Verarbeitung. Zur Sicherung der Lebensmittelproduktion wird in Deutschland eine zusätzliche Fläche von fast der Größe von Belgien beansprucht. 96 Prozent der gesamten Sojaproduktion (hauptsächlich aus den USA und Brasilien kommend) werden auf einer ebenso großen Fläche angebaut und nur für Futtermittel genutzt.

In Deutschland gehen 69 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen von tierischen Lebensmitteln aus. Damit verdeutlicht sich, dass Ernährungsfragen klimarelevant sind und zur Einhaltung der gesetzlich gebotenen Klimaziele eine Landwirtschaftspolitik erforderlich ist, die statt einer Propagierung fleischlastiger Ernährung auf mehr pflanzliche Nahrungsmittelgewinnung setzt. Unabhängig davon führt die übermäßige Fleischproduktion in Deutschland in weiten Landstrichen zur Überdüngung mit tierischen Exkrementen und infolgedessen zu einer Kontamination von Grund- und Trinkwasser.

2. Betrachtet man die Treibhausemissionen auf die jeweiligen Nahrungsmittel bezogen, so steht (zitiert aus DAV-Zeitschrift Panorama 2/2020) das Rindfleisch mit 20, 65 kg CO2 pro kg Nahrungsmittel an der Spitze der direkten Emissionen, gefolgt von Schweinefleisch und (leider auch) Käse mit unter 8 kg CO2 pro kg Nahrungsmittel. Die absoluten CO2- -Sparer sind hingegen Obst, Gemüse (unter 1 kg) und Kartoffel (0,62 kg).

3. Zudem weisen Wissenschaftler darauf hin, dass häufiger Verzehr von rotem Fleisch (Schweine- und Rindfleisch) sich gesundheitsschädlich auswirkt, wohingegen nach ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen der Verzehr von Bohnen, Erbsen, Linsen, Vollkorngetreide, Pilze, Nüsse, Joghurt, Olivenöl, Brokkoli, Grünkohl und andere Kohlsorten, Knoblauch, Zwiebeln und Gewürze sich gesundheitsförderlich auswirken.

4. Seine Öffentlichkeitswirksamkeit als Politiker missbraucht Markus Söder in mehrerlei Hinsicht. Tatsache ist, dass Fastfood und der (auch pekuniär erzwungene) Verzehr von Billigfleisch vor allem in Schichten mit geringerem Einkommen und hoher elterlicher Arbeitsbelastung weit verbreitet sind. Da ist es für die Gesundheit der Bevölkerung von hoher Bedeutung, dass Kindern in Kitas und Schulen wörtlich auf den Geschmack von Obst und Gemüse gebracht werden. Die vom designierten Landwirtschaftsminister genannte ausgewogene, auch fleischliche Ernährung kommt für viele Kinder nur zustande, indem sie in Kitas und Schulen pflanzliche Alternativen zur eher fleischlichen häuslichen Ernährung kosten und schätzen lernen können. Das ist Geschmack ausbildend, pädagogisch wertvoll, Ressourcen schonend und für Kindeswohl und -gesundheit von großer Bedeutung.

5. Essen ist eines der lustvollsten Betätigungen, gemeinsam eingenommen auch eines der geselligsten. Auf den Geschmack kommt es an. Anders, als Söder es mit seinem landesüblichen Fleischkäse (den ich gelegentlich auch gern esse) erscheinen lässt, geht es bei mehr oder überwiegend pflanzlicher Ernährung nicht um von verbohrten Ideologen verordneten Verzicht und genüssliche Langeweile. Die geschmackliche Vielfalt von Gemüse mit all den unterschiedlichen Zubereitungsformen, Kombinationsmöglichkeiten und den Variationen an Gewürzzutaten stellen ein Universum der Genussmöglichkeiten dar, das in der hiesigen Gastronomie allerdings häufig sträflich vernachlässigt wird. Es gibt also für Politiker viele Gründe, für diese Form der Ernährung zu werben.

6. Sollten nun alle Menschen Vegetarier werden oder gar Veganer? Die vegetarische Ernährung setzt auch auf tierisches Eiweiß wie Käse, Milchprodukte, Eier, das nicht ohne kalbende Kühe und ‚nachwachsendes‘ Kalbfleisch bzw. eierlegende Hennen und auch ausgebrütete Hähnchen zu haben ist. Allein dadurch ist ein mäßiger Fleischkonsum notwendige Ergänzung zur vegetarischen Ernährungsform. Zwar kommt ein Veganer ohne tierische Produkte aus, jedoch ist die Erzeugung veganer Lebensmittel oft mit hohen industrieller Verarbeitung verbunden. Vor allem aber kann sich die Welt reinen Veganismus gar nicht leisten. Der Boden, der für Ackerbau – Anbau von Getreide, Obst, Kartoffeln – geeignet ist, reicht in keinem Fall zur Ernährung der Weltbevölkerung. Ein Großteil der Böden ist nur für Weidewirtschaft geeignet. Der Verzehr von Fleisch in Maßen ist - im Weltmaßstab betrachtet - von daher notwendig.

7. Nicht nur nicht notwendig, sondern in hohem Maß schädlich ist die in Deutschland betriebene Überproduktion von Fleisch in Megaställen, in denen Tiere unter tierquälerischen Bedingungen ohne Tageslicht dahinvegetieren müssen, gefüttert von Pflanzenfutter (zumeist Soja, oft unter der geforderten EU-Qualität), das - auf Kosten von Regenwäldern angebaut - um die halbe Welt verschifft wurde. Diese Überproduktion führt zu allem Überfluss noch zu Überschwemmung mit dem Billigfleisch von Märkten in Afrika, um dort die heimischen Erzeugnisse und deren Erzeuger von Markt zu drängen.

Wenn es politische vorrangig etwas zu tun gibt, dann ist es das, diese Fehlentwicklung zum Schaden von Klima, Natur, Tieren und Menschen wieder zurückzuentwickeln durch schrittweises Umsteuern.

8. Die eigene Ernährung sollte in erster Linie eine Frage des gebildeten Geschmacks sein. Es ist gut, wenn es nicht nur Veganer, oder Vegetarier oder Fleischkonsumenten gibt. Eine Entideologisierung ist vonnöten, nur in umgekehrte Sinn wie es Söder darzustellen versucht. Fleischessen zur bayerischen Folklore zu machen, anhand der Deutschland genesen soll, ist schlicht platte Ideologie. Neben der Frage des Geschmackes sind aber Fragen der Qualität, der Gesundheit, der Umweltbelastung und der Bedingungen für Menschen und Tiere bei Produktion und Vermarktung von enormer Bedeutung. Dieses zu ignorieren ist schlicht realtätsverleugnend.