Die Welt als Schöpfung – Zum Schöpfungsbericht der Bibel
Gott schläft in den Steinen, träumt in den Tieren, atmet in den Pflanzen und erwacht im Menschen. - Weisheit der indischen Upanishaden -
Statt einer Einleitung
Thomas Mann hat im ersten Kapitel seines Joseph-Romans nach gründlichem Studium des Standes der Forschung und seinen daraus entsprungenen eigenen Gedanken die Genesis-Schilderungen von der Erschaffung der Welt, von Paradies und Sündenfall, von Turmbau zu Babel und Sintflut in Beziehung gesetzt zu Überlieferungen anderer Völker und Erdteile. Dabei würdigt er die teilweise ähnlichen Inhalte als Reminiszenzen, im Laufe der Weitergabe mit vielen Überschreibungen und Überlagerungen modifizierte Erinnerungen prähistorischer Ereignisse, als Erzählungen, die für die sich bildende Menschheit eine tiefe Bedeutung hatte und uns Heutige ebenso angehen. Sein 4 Jahre älterer Bruder Heinrich Mann bemerkt nach einer ersten Lektüre: „An drei Abenden habe ich Dein ‚Vorspiel‘ gelesen und habe den Wunsch, Dich wissen zu lassen, dass es meine grösste Lektüre war – seit wann? Ich weiß nicht…. „Du hast Deine eigene Exegese, sogar Deine eigene ‚Lehre‘, wenn ich recht verstehe, und sie reicht in grosse, tiefe Fernen und dann wieder bis zu Dir und zu uns. Die Universalität ist es, die ich bewundere und ehre, mit eingerechnet natürlich das ungeheure Studium, während dessen der Blick und die Verlebendigung möglich wurden. Besonders Sinn habe ich für den eifrigen Ernst im Ton Deiner Dialektik, dahinter Humor und sogar Travestie erscheint, und hinter diesen wieder Ernst. Das alles übrigens ist auffallend – katholisch. Katholische Skepsis, die abgründig ist. Wo der Protestantismus aufhört, fängt einfach die Ungläubigkeit an. Meine eigenen geistigen Erfahrungen gehen nicht so weit, daß ich es behaupten dürfte, aber ich habe die Empfindung, dass die völlig zusammengefasste Kultur wieder auf die gleiche Einheit hinausläuft, wie eben das alte einige Christentum.“ (zitiert aus Wisskirchen: Zeit der Magier, S.271, S.Fischer)
Zur Erzählung der Schöpfungsgeschichte
Die biblischen Erzählungen zur Schöpfung und Entwicklung des Menschengeschlechts rein wörtlich zu nehmen, verkennt deren Entstehung, deren Charakter und Sinn/Bedeutung. Wenn man von Offenbarung und vom inspirierenden Geist Gottes bei diesen Texten sprechen möchte, so ist dieser nicht in einzelnen Formulierungen zu suchen, nicht im ‚sachlichen‘ Detail, sondern in den Spuren letztgültiger tiefer (An-)Erkenntnis. Die biblische Schöpfungsgeschichte ist meines Erachtens eine wunderbare Dichtung – Dichtung hier in dem Sinn, dass sie ein tiefes Empfinden und eine Gläubigkeit verdichtet in einer rhythmisch-liturgischen poetischen Sprachform.
Der Geist Gottes, der über dem Chaos schwebt, spricht achtmal: ‚Und Gott sprach‘... Es werden nacheinander die Wunder der Natur als Werke des Geistes Gottes aufgeführt und vor unser geistiges Auge gestellt. Und Gott sah, das es gut war – hier werden wir daran erinnert, die unfassbaren Wunder der uns umgebenden und uns selbst ausmachenden Wirklichkeiten in ihrer Größe und Unermesslichkeit wahr zu nehmen und zu würdigen. Es wird der Glaube/das Vertrauen bekräftigt, dass die Schöpfung, der Mensch, seine Mitwelt vom Grund her gut ist, Ausdruck Gottes Willens.
Besonders wird die Schaffung der Menschen als Mann und Frau hervorgehoben: ein Bild, das uns gleich sei. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“
Und wenn Gott ihm die Erde, die Tiere und Pflanzen anvertraut, über sie zu herrschen, so ist dem eingeschrieben, dass er diese Herrschaft ausübt im Bewusstsein, dass es eine gute Schöpfung ist, mit der der Mensch auch gut umzugehen hat.
Schöpfungsgeschichte und Wissenschaft
Das Wort Schöpfung mag in heutiger Zeit für manche Ohren überholt vorkommen. Die Wissenschaft hat die allmähliche Entwicklung des Weltalls, der Sterne und der Erde aus einem anfänglichen Urknall mit überzeugend vielen Details belegt. Dabei scheint die Wissenschaft den Glauben ablösen zu können. Und unbestreitbar ist, dass Gott als ewig existenter Schöpfergott außerhalb der Zeit menschliche Vorstellungsmöglichkeit übersteigt. Nur kommt auch der Wissenschaftsgläubige in der Suche nach den Ursprüngen allen uns bekannten Seins auch nicht an einem präexistenten Geheimnis vorbei: Da wissenschaftlich nicht erklärt werden kann, wie etwas aus dem Nichts entstehen kann, muss sie beim Urknall stehen bleiben, ohne dessen Entstehungsgrund erklären zu können. Und lässt nicht der biblische Schöpfungsbericht mit seinen 7 Tagen nicht etwas erahnen von dem evolutionären Lauf der Entstehung unserer Wirklichkeit? Lässt sich die Erschaffung des Lichtes nicht mit dem Zünden der Sterne, die Scheidung von Wasser und Trockenem nicht mit der Entstehung der Kontinente etc. assoziieren?
Die Wissenschaft hat die Wunder der Natur – genau betrachtet - nicht entzaubert, sondern sie mit zahlreichen neuen Dimensionen weiter ausgeleuchtet. Die ungeheuren Dimensionen des Weltalls und ihrer Galaxien, Sterne, schwarzen Löcher sind unbegreiflich wie die auf der Erde entstandene Vielfalt an Leben und deren verästeltes Zusammenspiel in den Ökosystemen und Lebensgemeinschaften, wie die Gesetze und Teilchen des Mikrokosmos. Allein sich vorzustellen, dass unsere fest erscheinende Materie aus Energie aufgebaut ist und die Atome, Moleküle neben den winzigen Bausteinen zu größten Teilen aus leerem Raum bestehen, kann einem den Atem verschlagen und in ehrfürchtiges Erstaunen versetzen. Man kann sagen, je weiter menschlicher Geist wissenschaftlich in die Urgründe versucht vorzustoßen, desto größere Wunder und Geheimnisse tun sich auf. Da ist jedenfalls genug Platz für Gottes Geist.
Das Geschenk der 7-Tage-Woche
Zurück zum Schöpfungsbericht: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Aus der biblischen Gottes-Ebenbildlichkeit leitet sich die Menschenwürde ab, die Würde aller Menschen. Und die Betonung, dass es sehr gut war, gibt bereits seinen Widerhall im die Werke betrachtenden Menschen wieder.
Und dann folgt ein bedeutender Satz: „Und so vollendete Gott am siebten Tag seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tag von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, ...“ Zwei naheliegende Gedanken dazu:
- Zum einen verdanken wir dieser biblischen Schöpfungsbetrachtung unsere 7-Tage-Woche mit dem arbeitsfreien Sabbat (jüdisch) bzw. Sonntag (christlich). Diese – der jüdischen Tradition zu verdankende - Wochenordnung bestimmt mit seinem Rhythmus unser alltägliches Leben und gewährt uns am 7. Tag die Möglichkeit zu einem Innehalten vom zweck- und zielgerichteten geschäftigen Tun. Diese heilsame Einrichtung hätte keine staatliche oder gesellschaftliche Ordnung uns so unangreifbar gewährleisten können.
- Zum anderen signalisiert die Zusammenschau vom göttlichen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, und dem Ruhen Gottes am (andauernden) 7. Tag, dass der Mensch nun ohne Gottes Eingreifen die Erde gestalten kann (Freiheit) und muss (Notwendigkeit), und dabei mit sich und seinen eigenen Werken klar kommen muss.
Eine auch heute hilfreiche Erzählung
Der erste Schöpfungsbericht ist eine Erzählung, die gerade in heutigen Zeiten sehr hilfreich sein kann. Klimakrise, Kriege und Gewalttaten rütteln zwar kurzfristig auf, geben aber auf Dauer noch keine Energie, die Dinge zum Guten zu lenken. Der Glaube, die Schöpfung aus Gottes Hand empfangen zu haben als etwas sehr Gutes, kann helfen, Fürsorge, Sorgfalt und Liebe für die Erde, die Natur, die Lebewesen zu leben. Er hält zur Verantwortlichkeit und Demut an, dass man beim untertan-Machen der Erde diese nicht mit habgierigen Zwecken zerstört. Schöpfung als Geschenk zu empfinden, spricht nicht nur den Verstand an, den wir dringend gebrauchen, um Wege aus den multiplen Umweltkrisen (Klima, Artensterben, Ewigkeit-Chemikalien, Plastikflut etc.) zu finden, sondern auch unsere Gefühle und die Seele, was dabei hilft, nicht die Hoffnung zu verlieren und immer wieder Motivation zu entwickeln für unser gemeinsames Haus