Die bedrohlichen Fremden und die Bedrohung der Demokratie - Zum Bundeskanzlerwort:„dieses Problem im Stadtbild“ 

US-amerikanische Entwicklungen als Blaupause für Demokratiefeinde?

Die Badische Zeitung beschreibt in einem Artikel vom 18.10.25 die neue Realität in Amerikas Städten, wo neuerdings Soldaten mit Schnellfeuergewehren patrouillieren, vermummte Häscher aus zivilen Autos herausspringen und dunkelhäutigere Menschen von der Straße verschleppen, die Autos von Reportern von Ordnungshütern absichtlich gerammt und filmende Passanten mit der Waffe bedroht werden. Trump beschwört kriegsähnliche Zustände herauf, spricht von Städten als Höllenlöchern, als Kriegsgebieten, die von ‚Verrückten überrannt werden‘, in denen kriminelle Ausländer und die linksradikale Antifa rebellieren. Es wird ein Feind im Inneren behauptet, der die Städte niederbrennt, plündert und randaliert. Trump will „einige unserer gefährlichen Städte als Trainingsplätze für das Militär nutzen“, spricht von den schlimmsten der schlimmsten kriminellen Ausländer in Chicago. „Ich liebe den Geruch von Deportationen am Morgen“. Tatsächlich wurde dort ein Wohngebäude von hunderten Schwerbewaffneten in Tarnuniformen aus Panzerfahrzeugen heraus gestürmt und anschließend per Video als erfolgreiche Verbrecherjagd publiziert. Und es werden im Netz Aufnahmen alltäglicher Übergriffe vermummter Beamter ohne Namensschild gepostet, um Angst und Schrecken zu verbreiten. So beispielsweise mit einer Darstellung, wie ein mexikanischer Blumenverkäufer ohne erkennbaren Grund von der Straße deportiert wird.

Dabei tut sich besonders die Abschiebepolizei ICE hervor, deren Budget verdreifacht wurde. Die ICE stellt gerade 10.000 neue Beamten ein. Wenn man erfährt, dass diese keine höhere Schulausbildung aufweisen müssen und mit einem Begrüßungsgeld von 50.000 Dollar angelockt werden sollen, dann erahnt man, welche Menschen sich für diese Tätigkeit bereiterklären werden. In Kürze kann so eine Polizei von rechtsradikalen Personen überflutet werden.

Man darf annehmen, dass hier machthungrige AfD-Funktionäre gebannt hinschauen und sich diese Vorgehensweisen als Roadmap für eigenen Pläne einer Machtübernahme vormerken.

 

Haben wir ‚Probleme mit dem Stadtbild‘?

Ausgerechnet in dieser Situation fällt der Ausspruch von Bundeskanzler Friedrich Merz: „Wir haben natürlich im Stadtbild immer noch dieses Problem“ mit der Ankündigung, dass der Bundesinnenminister dabei sei, in sehr großem Umfang Rückführungen durchzuführen. Dass es sich hierbei nicht um einen spontanen Ausrutscher gehandelt hat, lässt sich an der vorangegangenen Auslassung Markus Söders im Münchner Merkur festmachen: Dort forderte dieser mehr Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, dass sich das Stadtbild wieder verändere.

Wie muss sich diese Äußerung des Regierungschefs für Menschen mit sichtbar ausländischen Wurzeln in Deutschland anhören? Die Schreckensnachrichten aus den USA, die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in ganz Europa, die zunehmenden rassistischen Äußerungen in den ‚sozialen‘ Medien, die zunehmenden fremdenfeindlichen Übergriffe auf den Straßen und gegen Asylantenheime bei uns sind für diese Menschen schon bedrohlich genug und gefährden die Attraktivität für dringend gebrauchter ausländischer Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Da muss eine derartige Aussage vom höchsten Regierungsrepräsentanten wie Öl ins Feuer wirken. Hört es sich nicht so an, als seien farbige Ausländer Störfaktoren im Stadtbild, die möglichst zum verschwinden gebracht werden sollen? Man kann Friedrich Merz nicht unterstellen, US-amerikanischen Verhältnissen in Deutschland das Wort reden zu wollen. Aber er liefert mit seinem Ausspruch ein Motto, das als weichspülende Überschrift geeignet ist, künftig die Remigrationspläne der AfD zu bemänteln.

 

Rückführungen zur Problemlösung?

Als Lösung für das „Problem mit dem Stadtbild“ präsentiert Friedrich Merz Rückführungen in sehr großem Umfang. Es dürfte klar sein, dass in Deutschland, solange noch rechtsstaatliche Bedingungen herrschen, umfangreiche Rückführungen am Asylrecht, am Schutzstatus Geflüchteter und an Gesetzen scheitern. Die Zahl der für Abschiebungen infrage kommenden straffälligen Ausländer dürfte prozentual kaum ins Gewicht fallen, auch wenn Innenminister Dobrindt schon mal beim Abschieben dazu bereit ist, entgegenstehende Gerichtsurteile zu ignorieren – ein Haltung, die die Schwelle zur Missachtung unserer Rechtsstaatlichkeit ein Stück erniedrigt hat. Jedenfalls sind die angekündigten Rückführungen in großem Stil zum Scheitern verurteilt und daher Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Die AfD kann sich bei Merz bedanken und sich nun als die politische Kraft anbieten, die Lösungen für massenhafte Abschiebungen und Stadtbildprobleme parat hat.

 

Brüchige Abgrenzung zu AfD-Positionen und Beschädigungen des Weltbildes

Wenn Friedrich Merz erneut - wie aktuell auf der Präsidiumssitzung der Union - lautstark die Abgrenzung der CDU/CSU zur AfD bekräftigt, so hört sich das wie das laute Pfeifen im Walde an. Sein markig gemeinter Ausspruch: „Wir werden uns von diesen Leuten nicht zerstören lassen“ könnte man allerdings mit den Worten ergänzen: ‚Das besorgen wir schon selbst‘. In der Asylpolitik haben sie sich der AfD schon so weit angenähert, dass frustrierte Wähler im Zweifelsfall dann doch das wirkmächtigere Original bevorzugen werden. Im Umgang mit europäischem Recht und europäischen Vereinbarungen und Gerichtsurteilen ist die Union dabei, rechtsstaatliche Schwellen zu senken. Und im Innern der Partei formieren sich die Kräfte, die für Kooperationen mit der AfD offen sind und schon einmal - einer Verleumdungskampagne der AfD folgend – eine renommierte Bundesgerichtshofkandidatin zu Fall gebracht haben.

Und man höre dazu noch den sächsischen Ministerpräsident Kretschmer (CDU). Der sagt, dass es nicht reiche, die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, zu reduzieren, „es müsse auch gelingen, unsere Normen, unsere Werte durchzusetzen. Und es gibt eben Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Und das will man vielleicht auch mal dazu sagen, die in ihrem Leben so viel Schreckliches erlebt haben, dass sie nicht dazu bereit sind, nicht willens sind, sich an unsere Regeln zu halten.“ Dann noch ergänzend, dass die Menschen die Frage beschäftige, ob Migranten zum Wohlstand beitrügen. Lässt sich der Subtext zu dieser Verlautbarung nicht wie folgt übersetzen: Ihr Migranten, Ausländer seid uns zu viele hier. Wir haben (überlegene) Werte und Normen, die ihr aus anderen Kulturkreisen leider nicht habt, die wir hier bei Euch durchsetzen müssen. Menschen, die Schreckliches erlebt haben, verdienen nicht unser Mitgefühl, denn sie wollen sich nicht an unsere Regeln/Normen/Werte halten. Ich will es ja nicht behaupten, aber die Menschen fragen sich auch, ob die Ausländer zu unserem Wohlstand beitragen oder eher sich hier in die soziale Hängematte legen. Man hat den Eindruck: Kretschmer traut sich nur nicht ganz unverblümt das zu sagen, was AfD-Funktionäre problemlos im Klartext aussprechen.

 

Die drohende Entkernung der Union

Diese, leider immer wieder auch durch Aussprüche von Friedrich Merz beförderten Tendenzen in der Union sind ein gefährlicher Spaltpilz im Innern der beiden Parteien. Gerade die Politiker, die das Wort christlich noch ernst nehmen, die soziale Verantwortung spüren, müssen sich zunehmend fremd in der Union fühlen. Der ganz recht Rand bröckelt ohnehin schon zur AfD hin ab. Gefährlich sind diese Tendenzen für das ganze Land, nicht nur, weil die Union, die derzeit noch stärkste verbliebene demokratische Kraft, dabei ist, sich selbst zu entkernen. Die Migrationsdebatte funktioniert nach dem Sündenbock-Prinzip: Das eigene Versagen, das eigene Schlechte wird durch Ablenkung auf eine ausgesuchte Bevölkerungsgruppe, hier Asylanten, Schutzsuchenden Flüchtlinge, Ausländer anderer Kulturkreise, verdeckt. Nur wird dadurch nicht eines der aktuellen politisch/gesellschaftlichen Probleme gelöst.

 

Sinnvolle Migrationspolitik ist möglich und gewinnbringend für alle

Der allergrößte Teil der hier lebenden Flüchtlinge ist dankbar, hier sein zu können, möchte sich in unser Gemeinwesen einbringen, ist über alle Kulturgrenzen hinweg einer uns verbindenden Menschlichkeit verpflichtet. Die Langsamkeit und Unterbesetzung der Ausländerbehörden, die Unbeweglichkeit unsrer Bürokratie sind – neben einer mancherorts unzureichenden Förderung von Sprachkenntnissen - das größte Hindernis auf dem Weg in die Arbeitswelt und die größte Belastung für die hier ankommenden Schutzsuchenden. Das beweist nicht zuletzt die Wirksamkeit des noch von der Ampelkoalition angestoßenen Job-Turbo, mit dem in kurzer Zeit mehr als doppelt so viele, 70% der Schutzsuchenden in Brot und Arbeit gebracht werden konnten. Unfreiwillig Arbeitslose konnten so statt in der Stadt an einem Arbeitsplatz sein. Nur sind diese Errungenschaften wie auch die Finanzierung von Integrationsförderung und Sprachkursen bei einer auf Abschreckung zielenden Politik bedroht. Allein mit derartigen Maßnahmen könnten Sicherheit und Schutz vor Gewalttaten erhöht werden. Mit abschreckenden Worten und Maßnahmen hingegen verstärkt man Angst und Verzweiflung, auf deren Boden bei entsprechend gefährdeten Menschen Gewaltbereitschaft geradezu erzeugt werden kann.

 

Unnütze Verschwendung bei klammen Kassen

Statt sinnvoller Integrationsförderung werden nun große Summen in die Aufstockung der Zahl der Grenzbeamten gesteckt. Bei den täglichen Grenzkontrollen sind laut Spiegel (402025) bis zu 14.000 Polizisten im Großeinsatz, wurde bereits ein riesiger Berg von 2,7 Millionen Überstunden angehäuft, die erhebliche Kosten für den Steuerzahler und gesundheitliche ‚Kosten‘ bei den betroffenen Beamten nach sich ziehen. Dabei tragen diese Grenzkontrollen und Zurückweisungen, die trotz klammer Staatsfinanzen auf unbestimmte Länge angeordnet sind, nach Meinung von Experten wie dem Migrationsforscher Gerald Knaus praktisch nichts zu den sinkenden Zahlen der Schutzsuchenden und somit zu einer stolz verkündeten Migrationswende bei. Sie reduzieren auch nicht die Zustimmungswerte zur AfD, im Gegenteil - wie oben schon dargelegt.

 

Die tieferliegenden Gründe für den Erfolg der AfD und die Rolle der Migrationspolitik

Eine Untersuchung der Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey unter rechten Wählern (Spiegel Nr. 42/2025) hat interessante Befunde hervorgebracht: Deren Gefühl des Niedergangs macht sich weniger an den großen Krisen der Gegenwart, als viel mehr an Alltagsbeobachtungen fest: An der Unpünktlichkeit der Bahn, an maroden Brücken, löchrigen Straßen. Sie haben das Gefühl, dass sich die Ressourcen verknappen, der eigene Wohlstand langsam Risse bekommt, dass alles schlechter wird. Wer früher sich ein Eigenheim leisten konnte, muss jetzt teuer zur Miete wohnen. Es hat sich ein Nullsummendenken breitgemacht: Dem Fortschrittsversprechen vertraut man nicht mehr, der Reichtum ist begrenzt, der Kuchen wächst nicht mehr, sodass mehr Konkurrenz entsteht: das größere Stück des anderen schmälert meines. Dass das nicht nur subjektive Wahrnehmungen sind, zeigen Studien: Die Aufstiegschancen für Arbeiter und Arbeiterinnen sind gesunken. Die Stagnation ist für die unteren 30 Prozent Realität. Die Nullsummenlogik (beispielsweise statt: wie früher: der Nachbar hat einen guten Job gefunden, das wird mir auch gelingen, jetzt: der Nachbar hat mir die Möglichkeit eines guten Jobs weggenommen) erzeugt ein bedrohlich einengendes Gefühl. Hier verknüpfen Menschen gefühlsmäßig den Niedergang des eigenen ‚normalen‘ Lebens im Sinne der Nullsummenlogik mit der vermeintlichen Besserstellung, Bevorzugung fremd empfundenen Lebens: Und da werden in einem Atemzug Migranten und Queere genannt. Auch hier ein typischer Sündenbockmechanismus. Diese Projektionen können je nach Charakter Empathie-Entzug, Hass und letztlich gewalttätige und zerstörerische Absichten hervorrufen.

Bedeutungsvoll scheinen mir hier besonders zwei Aspekte zu sein: Zum einen bedient und verstärkt verfehlte Migrationspolitik und entwertender Sprachgebrauch rechter demokratischer Politiker genau diese Verknüpfungen und Projektionen (extrem) rechts wählender Bürger, bestärken somit deren Abwendung von demokratischen Parteien. Zum anderen kommen die Projektionen der Bürger nicht aus dem Nichts, sondern haben reale Verlustdrohungen und Verlusterfahrungen zur Grundlage.

Ausweg aus dieser unsere Demokratie gefährdenden Entwicklung könnte nur eine Politik bieten, die Armut und Perspektivlosigkeit bekämpft, Gemeingut und öffentliches Gut fördert, Kommunen handlungsfähige Bedingungen für das bürgerliche Zusammenleben vor Ort ermöglicht und immer reicher werdende Reiche in ihre gesellschaftliche Verantwortung nimmt. Geplante Einschnitte bei den Sozialausgaben und steuerliche Entlastung auf Seiten der Vermögenden bewirken nur das Gegenteil. Wohin das führen kann, zeigen die Vorgänge in den USA.