Die Notwendigkeit einer regenerativen Landwirtschaft und die gewaltigen Hürden auf dem Weg dorthin.
Die folgenden Ausführungen zu einer regenerativen Landwirtschaft und regionaler Sicherung der Ernährung sind dem Buch „Regenerative Kulturen gestalten“ von Daniel Christian Wahl (Phänomen-Verlag) entnommen und die wörtlichen Zitate kursiv gesetzt.
Regenerative Landwirtschaft
Die von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) 2013 durchgeführte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass eine angemessene Antwort auf den Klimawandel und die Herausforderungen, eine voraussichtliche Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen zu ernähren, eine transformative Veränderung in unsere Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Handelssystemen erfordert‘. UNCTAD: „Die Welt braucht einen Paradigmenwechsel in der landwirtschaftlichen Entwicklung von einer ‚grünen‘ Revolution‘ zu einem Ansatz der ‚ökologischen Intensivierung‘. Dies bedeutet eine rasche und deutliche Abkehr von der konventionellen, auf Monokulturen basierenden und stark von externen Inputs abhängigen industriellen Produktion hin zu einem Mosaik nachhaltiger, regenerativer Produktionssysteme, die auch die Produktivität von Kleinbauern erheblich verbessern. Wir müssen von einem linearen zu einem ganzheitlichen Management übergehen, das anerkennt, dass ein Landwirt nicht nur ein Produzent landwirtschaftlicher Güter ist, sondern auch ein Manager eines agroökologischen Systems, das eine ganze Reihe von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen bereitstellt (z.B. Wasser, Boden, Landschaft, Energie, Biodiversität und Erholung)“.
Als Herausforderungen nennt der UNCTAD-Bericht:
den Kohlenstoffgehalt des Bodens zu erhöhen
eine bessere Integration von Pflanzenanbau und Viehzucht
Integration von Wildpflanzen und Agroforstwirtschaft
drastische Treibhausgasreduktion von der mit der Viehzucht verbundenen Treibhausgasemissionen
nachhaltige Bewirtschaftung von Torfgebieten, Wäldern und Grasland
Optimierung des Einsatzes von organischen und anorganischen Düngemittel u. a. durch geschlossene Nährstoffkreisläufe
Reduktion von Abfällen in der gesamten Lebensmittelkette
Entwicklung zu einem klimafreundlichen Lebensmittelkonsum
Wie können wir das internationale Handelsregime für Lebensmittel und Landwirtschaft verändern?
In dem Artikel werden zwei Beispiele von international organisierten Bauernbewegungen aufgeführt:
1. ‚La Via Campesina‘ ist ein Zusammenschluss von Bauern, indigenen Völkern und Landarbeitern, die über 200 Millionen kleine und mittlere Primärerzeuger in 73 Ländern vertritt. Die Organisation tritt für Ernährungssouveränität und Subsidiarität ein: ‚Ernährungssouveränität räumt der lokalen Lebensmittelproduktion und dem lokalen Lebensmittelkonsum Vorrang ein. Sie gibt einem Land das Recht, seine lokalen Erzeuger vor Billigimporten zu schützen und die Produktion zu kontrollieren. Sie stellt sicher, dass die Rechte zur Nutzung und Verwaltung von Land, Territorien, Wasser, Saatgut, Vieh und biologischer Vielfalt in den Händen derjenigen liegen, die Lebensmittel produzieren, und nicht bei den Unternehmen.‘
Mit Subsidiarität ist gemeint: dass eine zentrale (politische) Behörde eine untergeordnete Koordinationsfunktion haben soll, die nur Aufgaben wahrnimmt, die nicht auf lokaler Ebene erledigt werden können.
2. Die weltweite Slow-Food-Bewegung, ein Netzwerk von Organisationen, Erzeugergenossenschaften und Lebensmittelbündnissen in 160 Ländern, fördert städtische Garten- und Landwirtschaftsprojekte, schafft Ko-Produzenten-Netzwerke, die städtische Verbraucher direkt mit ländlichen Erzeugern verbinden, setzte sich gegen Lebensmittelverschwendung ein, die als struktureller Systemfehler im globalen industriellen Landwirtschaftssystem verstanden wird. „Es gibt nur wenig bessere Möglichkeiten, einen breiten Teil der Gesellschaft und der lokalen Gemeinschaften in einen Dialog über die Schaffung einer regenerativen Kultur einzubinden als mit der Frage der Lebensmittel und ihrer Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlergehen von Einzelpersonen, Gemeinschaften und Ökosystemen zu beginnen.
Das 1947 in USA gegründete Rodale-Institut veröffentlichte 2014 ein Weißbuch, in dem verfügbare landwirtschaftliche Techniken dargestellt werden, die geeignet sind, Kohlenstoff zu binden und Treibhausgaskonzentrationen langfristig zu reduzieren: „Einfach ausgedrückt: Jüngste Daten aus landwirtschaftlichen Systemen und Weideversuchen auf der ganzen Welt zeigen, dass wir mehr als 100% der derzeitigen jährlichen CO2-Emissionen abbauen könnten, wenn wir auf weithin verfügbare und kostengünstige ökologische Bewirtschaftungsmethoden umstellen würden, die wir als ‚regenerative ökologische Landwirtschaft‘ bezeichnen. Diese Praktiken maximieren die Kohlenstoffbindung und minimieren gleichzeitig den Verlust von Kohlenstoff, wenn er dem Boden zurückgeführt wird, wodurch der Treibhauseffekt umgekehrt wird.“
Zu den Techniken gehören Anbau von Zwischenfrüchten zur Verringerung der Bodenbearbeitung, Mulchen mit den Pflanzenrückständen, Kompostierung und Düngung mit Kompost,größere Pflanzenvielfalt, Baumkulturen, Agroforst, reichhaltige Bodenstruktur durch Pflanzen mit buschigen Wurzelsystemen ( zur Unterstützung von förderlichen Mykorrhizapilzen).
Auch die Weltbank hat in einem Bericht die Untersuchung unterschiedlicher Landbewirtschaftungsmethoden dargelegt und festgestellt, dass „neben der Speicherung von Kohlenstoff im Boden nachhaltige Bodenbewirtschaftungstechnologien … die Erträge steigern und die Produktionskosten senken können.“. Zur Treibhausgasminderung schnitt bei den Untersuchungen am besten die Anwendung von Biokohle ab, die durch Verkohlung von Biomasse durch Pyrolyse oder Gasifizierung gewonnen werden kann.
So klar die Agenda, so schwierig der Weg dahin.
Seit den 50er Jahren hat eine Umwälzung der Landwirtschaft nie gekannten Ausmaßes stattgefunden. Aus den familiär geführten Bauernhöfen und den zu Stoßzeiten dorfgemeinschaftlichen gegenseitigen Unterstützungssystemen sind industrielle Agrar(groß)betriebe geworden. Inzwischen ist ein weltumspannendes Netz an Agrarindustrie angewachsen. Landraub wird zur ins Ausland ausgelagerten Absicherung von Ernährung und von industriell bearbeiteten Lebensmittelprodukten staatlicherseits oder von Großkonzernen eingesetzt. Entstanden ist eine lange sogenannte Wertschöpfungskette. Wenn man dieses Wort in die nackte Realität übersetzt, so heißt das, dass die täglichen Gebrauchswerte, die Lebensmittel als Mittel zum Überleben, durch eine immer komplexere, mit immer mehr Zutaten und Zergliederungsschritten versehene industrielle Produktionskette ersetzt wurde. An dieser waren immer intensiver chemische, biotechnologische und KFZ-Industrien, Logistikunternehmen etc. beteiligt, die dafür gesorgt haben, dass daraus immer mehr Kapital, d.h. immer mehr Geld- und Machtanhäufung herausgeschlagen werden konnte. Landwirtschaft ist inzwischen ein wichtiger Baustein der globalen Kapitalanhäufung in wenigen Händen geworden. Da Landwirtschaftsprodukte und die Produkte der gesamten Produktionskette weltweit als Handelsware im Tausch gegen andere industrielle Produkte dienen, sind sie ein essentieller Bestandteil des liberalen Welthandels.
Regenerative Landwirtschaften, die hauptsächlich mit Eigenmitteln und mit den Mitteln der Natur arbeiten, sind ein Fremdkörper im kapitalistischen System. Dass die EU das Ausbringen von Glyphosat um 10 Jahre verlängert hat, ist nur ein kleiner Hinweis darauf, dass diese regenerative Mühle der Geld- und Machtanhäufung (bei linearer Anhäufung von Abfällen, dabei neben Gift und Gülle besonders relevant: CO2 und Methan) sich nicht so einfach zurückdrängen lassen möchte. Und auch auf den Staat als Verbündeten kann man da nicht zählen: Die Heilige Kuh des Bruttoinlandsprodukts und damit das Maß der Dinge, an der die Gesundheit der Wirtschaft gemessen wird, wird am Geldumsatz gemessen: Und da ist die Geld-Generiermaschine der industriellen landwirtschaftlichen Produktion der regenerativen Landwirtschaft haushoch überlegen: Sie steigert das Bruttoinlandsnprodukt. Die regenerative Landwirtschaft hingegen muss zu einer Absenkung führen, da die Leistung der regenerativen Kräfte der Natur und die ohne Zwischenhandel rückgewonnenen Mittel zur Bodenverbesserung nicht als Geldwert verbucht werden. Mit dem derzeitigen Maßstab für gesunde Wirtschaftsentwicklung ist der Staat (und die Staatengemeinschaften) geradezu dazu angehalten, regenerative Landwirtschaft in ihrem Nischendasein zu belassen. Es bedarf also einer viel grundsätzlicher zu erfolgenden Umorientierung, damit das geschehen kann, was die UNCTAD für eine gute Zukunft als notwendig erkannt hat. Eine der erforderlichen Maßnahmen ist die Umgestaltung des Messinstrumentes ‚Bruttoinlandsprodukt‘. Ohne dessen Reform – so zeigt es allein dieses Beispiel - unsere gesamte Lebenswelt mit großen Geldmitteln in eine immer weniger lebbare Zukunft gelenkt wird.
Die Food and Agriculture Organization (FAO) der UN stellte 2011 fest: „Auch wenn die Weltbevölkerung im letzten Jahrhundert rapide gewachsen ist, stammt der Großteil der Nahrungsmittel, die die Welt ernähren, immer noch aus kleinen lokalen Betrieben und wird von Frauen angebaut.“ Das macht Hoffnung: Die Weltbevölkerung könnte also durchaus mit Kleinbetrieben statt über die gar nicht grüne sog. Grüne Revolution ernährt werden. Aus dieser Tatsache ergibt sich auch die Verpflichtung gegenüber unserer Zukunft, diese Ernährungsgrundlage davor zu schützen, dass sie durch die Agroindustrie weiter zurückgedrängt wird.