Netanjahu im Machtrausch – Wegducken heißt mitverantwortlich sein für die gravierenden Völkerrechtsverletzungen
Es wird immer unerträglicher, miterleben zu müssen, was den Menschen in Gaza angetan wird, und wie dieses himmelschreiende Unrecht lediglich kommentiert wird, ohne dass spürbare Konsequenzen gezogen werden. Netanjahu und seine rechtsextreme Regierung behandeln die Menschen in Gaza wie wegen Überpopulation zum Abschuss freigegebene Wildtiere. Die gesamte Bevölkerung wird in Gruppenhaft genommen für die barbarischen Massaker der Hamas. Sie hatte schon unter deren – lange Zeit von Netanjahu zum Zweck der Spaltung der Palästinenser unterstützten – Gewaltherrschaft zu leiden, und wird nun wie Freiwild hin und her gejagt, beschossen, in immer kleinere Gebiete (12% des Gaza-Gebietes) zusammengepfercht, ausgehungert und aller Hilfen und sozialen und medizinischen Strukturen beraubt. Hier wird vor der Weltöffentlichkeit fortgesetzt und systematisch Völkerrecht gebrochen und das Recht auf Menschenwürde und Schutz der Zivilbevölkerung mit den Füßen getreten.
28 Ländern - darunter Italien, Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien, Portugal, die Niederlande, die baltischen Staaten, Kanada, Japan und Australien haben in einem gemeinsamen Appell die Einhaltung internationalen Rechts gefordert, den Umgang mit Hilfslieferungen als nicht menschenwürdig bezeichnet und verdeutlicht, dass weiteres Blutvergießen keinem Zweck dient. Dass es die deutsche Regierung mit einem Telefonat des Bundesaußenminister Johann Wadephul mit dem israelischen Außenminister bewenden lässt und nicht einmal diesem gemeinsamen Appell beitritt, ist zutiefst beschämend und zeugt von nicht zu rechtfertigendem politischem Wegducken.
Das Versprechen der Sicherheit Israels als deutscher Staatsraison und das Berufen auf die Verpflichtungen aus der deutschen Geschichte werden als Vorwand missbraucht, um nicht Stellung zu beziehen – und die Geschäfte mit Israel im militärischen Bereich weiter laufen lassen zu können.
Dabei erweist man Israel und der Bevölkerung Israels das Gegenteil einer freundschaftlichen Unterstützung. Ein Großteil der Bevölkerung ist gegen dieses völkerrechtswidrige Vorgehen im Gazastreifen, wird aber auf diese Weise im Stich gelassen. Und so wie man es in einer Freundschaft dem Freunde schuldig ist, ihm ein Stopp-Signal zu geben und ihm deutlich zu machen, wenn er sich in Unrecht verrennt, so ist es eine Freundschaftspflicht dem Staat Israel und der Regierung gegenüber, alles in den eigenen Kräften stehende zu tun, sie von einem weiteren Verstricken ins Unrecht abzuhalten.
Netanjahu und seine rechtsextreme Regierung sind in einen derartigen militärischen Machtrausch geraten, dass mahnende Worte bestenfalls abprallen, eher das überzogene Machtgefühl weiter stärken, soweit das Zurückweisen und Abprallen-lassen der Worte sich als zahnlos erweist, indem es folgenlos bleibt. Es ist eine Freundschaftspflicht Israel gegenüber, jetzt sofort sämtliche Waffenlieferungen zu stoppen und notfalls auch weitere Sanktionen anzukündigen. Andernfalls macht man sich immer mehr mitschuldig an der Vertreibung und dem Morden im Gazastreifen. Deutschland und Europa können nicht mehr die vielbeschworene Wertegemeinschaft und die Regeln des Völkerrechts glaubwürdig vertreten, die nach den Schrecken der Naziherrschaft und dem verheerenden zweiten Weltkrieg von der Weltgemeinschaft als verbindlich vereinbart wurden, wenn sie weiterhin tatenlos diesen sich steigernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuschauen.
Wie weit die Israelische Regierung sich verstiegen hat, wird noch einmal deutlich an Ihrem Vorgehen gegen Syrien. Sie greift mit Bomben die gerade in einer schwierigen Aufbauphase sich befindenden syrische Regierung in Damaskus an, angeblich um die Minderheit der Drusen vor sunnitischen Beduinen zu schützen. Dabei wurden tatsächliche Konflikte und Vorfälle von den drusischen Al-Hidschris-Milizen, die sich auf kein Mandat der drusischen Minderheit stützen können, einseitig als versuchten Genozid aufgebauscht und Israels Unterstützung angefragt. Ohne Vorwarnung gleich mit Bombengewalt in einen so unübersichtlichen und von außen nicht realistisch einzuschätzenden Konflikt in einem durch Jahrzehnte der Gewaltherrschaft und Bürgerkrieg zerrissenen Land einzugreifen, ist nicht nur völkerrechtswidrig und Konflikt anheizend. Es ist auch brandgefährlich, in dieser schwierigen Phase die um Ordnung ringende syrische Regierung zu demütigen und das Land in seinen höchst zerbrechlichen Bemühungen um einen Neuanfang zu destabilisieren. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es nicht um Schutz der Drusen, sondern um weitere Landnahme jenseits der Golanhöhen geht. Auf jeden Fall verstößt die Regierung Netanjahu mit ihren militärischen Übergriffen gegen langfristige eigene Sicherheitsinteressen: Ein in Chaos versinkendes Syrien wird dann rasch wieder zu einer Brutstätte von Terroristen und zu einem Spielball von Mächten wie Iran und Russland. Auch hier gebietet die Freundschaft mit Israel, klare Reaktionen zu zeigen, um Israels Regierung von weiteren destabilisierenden Übergriffen abzuhalten.
An dieser Stelle eine persönliche Anmerkung: Ich fühle mich mit Israel und dem jüdischen Volk tief verbunden. Als religiöser Mensch bin ich dankbar, dass das jüdische Volk in seiner Gottessuche die Fundamente unseres christlichen Glaubens gelegt hat und mit uns teilt. Christus war Jude und hat als Jude im jüdischen Glauben gelebt. Im Land Israel und noch einmal speziell in Jerusalem befinden sich eine Fülle von heiligen Stätten aller abrahamitischen Religionen. Es ist ein tief verankerter Wunsch, dass dieser besondere Teil der Erde wieder oder endlich zu einem Ort der gegenseitigen Verständigung, des Austausches und der friedlichen Toleranz zwischen Religionen und Völkern wird. Der gegenwärtige Zustand gewalttätiger, zerstörerischer Feindschaft darf nicht das letzte Wort in der Geschichte bleiben. Hoffnung aufgeben ist keine Option.