Paradies und Sündenfall – Die zweite Schöpfungserzählung

Zwei unterschiedliche, nicht miteinander zur Deckung zu bringende Erzählungen nacheinander in der Bibel aufgeführt, das gibt zu denken. Es ist übereinstimmende wissenschaftliche Meinung, dass Menschen vor 2500 bis 3000 Jahren über vergleichbare Fähigkeiten zu logischem Denken verfügten und in der Lage waren, Widersprüchlichkeiten zu identifizieren. Daher muss man davon ausgehen, dass es den Verfassern, die diese tradierten Erzählungen niedergeschrieben haben, nicht daran gelegen war, historische Sachverhalte in Worten festzuhalten, sondern in gleichnishafter Weise Aussagen über das Verhältnis von Gott zu den Menschen – oder umgekehrt - zu machen. Dass die Erschaffung des Menschen aus Staub (heute lässt da anklingen, dass die Erde mit allem Leben darauf aus Sternenstaub entstanden ist) in dieser zweiten Erzählung als ersten Schöpfungsakt genannt wird, vor der Erschaffung des Paradieses, betont den besonderen Gottesbezug zu den Menschen, oder – säkular ausgedrückt - die herausgehobene Stellung der Menschen in der Welt. Die Schilderung des Paradieses mit einen Fluss der sich in vier in jeweils eine Himmelsrichtung fließende Arme aufteilt – zwei davon ausdrücklich als Euphrat und Tigris genannt, entspricht selbst den zur Zeit der Abfassung der Erzählung bekannten topographischen Kenntnissen in keiner Weise. Die Schilderung lässt sich nur als symbolische Darstellung verstehen, dass der eine Quellfluss (von Gott kommend) alle vier Himmelrichtungen mit lebensspendendem Wasser versorgt. Dass Gott erst nach der Erschaffung des Menschen in den Garten Bäume pflanzt, soll die Mitwelt als ein Geschenk für den Menschen darstellen. Wenn Gott selbst nach dem Sündenfall die Menschen, die nun ihre Nacktheit erst erfahren, mit Fellen und Kleidung versorgt, soll damit seine unveränderte Zuwendung zu den Menschen ausgedrückt werden – er lässt den Menschen nicht fallen. Drei Elemente dieser zweiten Schöpfungsgserzählung seien hier besonders hervorgehoben.

1. Der Mensch gibt den Tieren den Namen

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen.“ Überraschend folgt als erstes aber dann die Erschaffung der Tiere – wie beim Menschen - aus Erde, um sie den Menschen zuzuführen, „damit er (Gott) sähe, wie er sie nenne.“ Hier wird die menschliche Sprache, das Bezeichnen, das Lautzeichen als Repräsentant der bezeichneten Realität, als die menschliche Entwicklungen begründende Tätigkeit gewürdigt. Das Bezeichnen machte es den Menschen erst möglich, komplexere Erfahrungen zu symbolisieren, untereinander auszutauschen und so zu kumulieren, das heißt: über Generationen immer mehr anzureichern. Vielleicht spiegelt die Formulierung, dass er die Tiere erschaffen hat, um sie den Menschen zuzuführen, auch die Tatsache wider, dass mit dem Benennen Tiere auch zum wichtigen Bestand innerer geistig-seelischer Vorgänge werden.

2. Erschaffung von Mann und Frau

Erst dann wird die Schöpfung der Frau aus der Rippe des Adam (übersetzt: Mensch) geschildert. Man kann darin einen Einfluss patriarchalischer Denkungsart sehen. Aber in den folgenden Versen - „Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch...“ und weiter: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch“ - erscheinen Mann und Frau gleichwertig und innig auf einander bezogen. Das weist deutlich über die seit 10.000 Jahren gängige patriarchalische Denkweise hinaus.

Bemerkenswert ist der folgende Vers: „Und sie waren nackt, der Mann und seine Frau, und sie schämten sich nicht.“ Tatsächlich sind Schamgefühl und Erröten erworbene menschliche Eigenheiten, die ihn vom Tier unterscheiden. Sie offenbaren einen inneren Selbstwiderspruch, den Verlust einer dem Tier gegebenen Selbstverständlichkeit, einen Bruch zwischen Selbstwahrnehmung und (über Symbolisierung) entwickelten verinnerlichten Soll-Vorstellungen. Es drückt sich darin aber auch eine Entfremdung von der eigenen Leiblichkeit aus, die nun Gegenstand der hinterfragenden kritischen Betrachtung wird.

3. Der Baum der Erkenntnis und der ‚Sündenfall‘

Die listige Schlange im Bibeltext ist Symbol der inneren-äußeren Verführung. Das Verbot von den Früchten des Baumes des Lebens und des Baumes der Erkenntnis zu essen, markiert die entscheidende Schwelle in der Entwicklung der Menschheit. Mit der Erkenntnis von gut und böse einerseits geht die Fähigkeit einher, mit planender Absicht schuldhaft zu handeln – eine Eigenschaft, die dem Tier und dem frühen Menschen (in der biblischen Erzählung: im Paradies) abgeht. Und die Erkenntnis andererseits von nützlich, im Sinne von zweckmäßig, und nicht nützlich, im Sinne von den eigenen Zwecken nicht dienlich, geht es um die exponentiell wachsenden Fähigkeiten, seine Mit- und Umwelt zu manipulieren, sich Erleichterungen, Abkürzungen, Vorteile durch Techniken zu verschaffen. All dies wurde aufgrund der wachsenden sprachlichen Symbolisierungs- und Verinnerlichungsfähigkeiten erst möglich.

Die Schlange sagt im biblischen Text: „Ihr werdet keinesfalls des Todes sterben, sondern Gott weiß, an dem Tage, an dem ihr davon esst, werden euch die Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug macht.“

Adam und Eva verstecken sich nach dem Essen der Frucht vor Gott und schämen sich ihrer Nacktheit. Gott fragt: „Wer hat Dir gesagt, dass Du nackt bist?“ … Und er sagt zur Frau: „Ich will Dir Mühsal schaffen, wenn Du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.“ Und zum Mann sagt er: Weil du … gegessen von dem Baum …, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er tragen und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zur Erde werdest, davon du genommen bist.“ … Gott sprach: „Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“ Mit der nicht rückgängig zu machenden Vertreibung aus dem Paradies (in der Erzählung: bewacht durch den Cherubim mit flammendem Schwert) wird in Zusammenhang gebracht: die Mühen von Schwangerschaft und Geburt, die Mühen des Ackerbaus und die Bestimmung des Mannes als Herr über die Frau.

In knappen Worten wird im Text verdeutlicht, wie der Erkenntnisgewinn einerseits die Entwicklung großartiger Dinge (Zivilisation, Kultur, Technik, Wissenschaft) ermöglicht (sein wie Gott), andererseits die Gebrochenheit des Menschen mit bewirkt, sein Ausgesetztsein der Scham, der Unterjochung, den Selbstzweifeln, dem moralisches Versagen, dem Scheitern, der Selbstentfremdung und Verzweiflung. Noch in den 60er Jahren wurde in der Kirche im Zusammenhang mit dem ‚Sündenfall‘ von einer (individualisierten) Erbschuld (= sündhafte Verderbtheit der Menschen qua Geburt) gesprochen – eine Begrifflichkeit, die keineswegs vom biblischen Text sich ableiten lässt und eher der Befestigung amtskirchlicher hierarchischer Ordnung diente.

Interessant im Text-Zusammenhang ist das Gott zugeschriebene Verdikt, der Herr-schaft des Mannes über die Frau (im Gegensatz zur Gleichstellung im Paradies) und der Mühsal der Ernährung aus dem Feld. Im Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann wird der wissenschaftliche Stand zur menschlichen (Vor-) Geschichte dargelegt mit interessanten Einzelheiten: Vor und während der letzten Eiszeit haben Menschen – Mann und Frau gleichberechtigt – in größeren Verbänden als Jäger und Sammler friedlich zusammengelebt, aber auch Kontakte zu anderen Verbänden gepflegt, auf diese Weise mit bis zu 1000 Personen in größeren Umkreisen Kontakt gehabt, Partner(innen) in anderen Verbänden gefunden und sind dorthin gewechselt. Man nimmt an, dass diese Menschen in größerem Einklang mit der Natur und ihren sich selbst regulierenden sozialen Verbänden gelebt haben. Die große Veränderung geschah, als in den fruchtbaren Schwemmländern zwischen Euphrat und Tigris und am Unterlauf des Nils nahrhafte Getreidesorten bei zunächst nomadischer Lebensführung nicht mehr nur optional genutzt wurden, sondern man sich dort sesshaft niederließ (siehe Flüsse des Paradieses). So entstand nicht nur Landwirtschaft, an die sich Menschen ortsfest banden, sondern auch Eigentum an Land und festem Besitz, befestigte Hütten und Häuser, Besitz von Tieren, Vererbung, auch die Entwicklung von Dörfern und Städten. Mit der Verstädterung bildeten sich immer komplexere Hierarchien, damit verbunden: die Entwicklung von Steuern, Ausbeutung, Raub, Sklavenhaltung, und Ungleichheit, unter denen vor allem auch die Bauern zu leiden hatten. Erst in dieser Periode brechen erste Kriege aus. Mit dem engen Zusammenwohnen und dem Kontakt zu den eigenen Exkrementen wie zu denen der schrittweise domestizierten Tiere entstanden neue Krankheiten, aufgrund mangelnder Körperhygiene und durch Übertragungen von Bakterien und Viren von den gehaltenen Tieren auf den Menschen. Durch das enge konstante Zusammenleben in Dörfern und Städten entstanden einerseits immer prüdere Regelungen des Sexuallebens, andererseits damit auch vermehrte (erschlichene, Konflikte generierende) Sexualkontakte, aber auch Sodomie, wodurch Geschlechtskrankheiten entstanden, die bei den Jägern und Sammlern unbekannt waren. Die „männliche Obsession hinsichtlich der Jungfräulichkeit der Frauen“ könnte in der Verhütung der Ansteckung durch Geschlechtskrankheiten ihren Ursprung haben.

Bregmann schreibt: „Es gibt sogar Theologen, die annehmen, dass sich die Geschichte vom Sündenfall auf die Erfindung der Landwirtschaft bezieht.“ Man kann sogar sagen, dass der biblische Text (nicht nur bei der Sündenfallerzählung) für diese Annahme einige triftige Anhaltspunkte liefert: Das Wandeln im Garten und essen der Früchte lässt sich als Phase der Jäger und Sammler lesen. Die Erkenntnis von gut und böse, nützlich und unnütz (siehe die oben angeführten zivilisatorischen Folgeerscheinungen) kann als Entwicklungsschritt zur zunehmenden Manipulation der Natur durch die Erfindung der Landwirtschaft aufgefasst werden. Das Verdikt Gottes bei der Austreibung aus dem Paradies (siehe oben) benennt die Unterordnung der Frau (Beginn des Patriarchat) und die vorher nicht gekannte Mühsal des Ackerbaus – passend zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Folgen der beginnenden sesshaften Zivilisation.

Ist also die biblische Erzählung nur eine mit Gottes Walten ausgeschmückte, mit symbolischen Details ausgestaltete tradierte Erinnerungsspur von einem historischen Entwicklungsschritt der Menschheit? Hier gilt es als erstes zu beachten, dass es bei den biblischen Texten nicht um Geschichtsschreibung geht. Zu den Zeiten der Abfassungen waren Philosophie, Psychologie, Geschichtsschreibung, religiöse Deutung und Dichtung noch nicht wissenschaftlich unterschieden. Biblische Texte enthalten Elemente von all diesen Richtungen. Zum zweiten sind die Texte häufig verfasst in Phasen politischer Unterdrückung und Not. Das Berufen auf Gott bedeutete implizit, den beherrschenden weltlichen Mächten etwas allgemein Gültiges, noch Mächtigeres, über ihnen und ihren Ansprüchen Stehendes und sie Begrenzendes entgegenzusetzen. Nicht zufällig lernt der Mensch nicht nur in der Not beten, sondern auch sich im tieferen Sinne mit den Fragen des Sinn seines Lebens und dem seiner Mitgeschöpfe auseinanderzusetzen und danach zu suchen, was wirklich tragend und sinnstiftend ist. Mit dem Berufen auf Gott setzt(e) man den weltlichen Mächten etwas entgegen.

Die biblischen Erzählungen waren und sind eine Erinnerung an beide Seiten des Menschen,

- an seine ‚Ebenbildlichkeit Gottes‘, seine Selbstübersteigung im kulturellen Zusammenwirken und sein Vorwärtsdrang zu immer neuen Höchstleistungen,

- und an seine Endlichkeit (zu Staub wirst Du zurückkehren), sein Verfehlen von Glück, innerer Zufriedenheit, ruhiger Selbstverständlichkeit, sein Bedrohtsein von Verlust an Orientierung, Heimat, sozialer Geborgenheit, Wertschätzung in den vielen Facetten der entstandenen Ungleichheiten und gesellschaftlichen Aufsplitterungen. Die biblische Erzählung vom Sündenfall ist auf gewisse Weise aktueller denn je: Menschliche Hybris versteigt sich derzeit dazu, die menschlichen Fähigkeiten, aber auch sein Bewusstsein, seine Urteilskraft, seine Selbstbestimmung durch menschengebaute Technologien via Quanten-Computer und KI übertrumpfen zu wollen, Menschen in Gänze quasi zum Anhängsel der Schöpfungen ihrer mächtigen Protagonisten zu machen - man könnte sagen, mehr sein zu wollen als Gott. Da weist die biblische Erzählung unmissverständlich darauf hin, dass die Verzweckung des menschlichen Denkens, Tun und Strebens Unheil im Gepäck mit sich führt. Es ist ein absurdes Ziel, menschliche Fähigkeiten in großem Stil überflüssig machen zu wollen, ersetzen zu wollen, wo doch jedes Lebewesen aus seinen Möglichkeiten, selbstwirksam bewirken zu können, Lust, Freude und Sinn schöpft und erfährt. Jede weitere Stufe der Verzweckung des Lebens bringt weitere Ungleichheiten der Macht, der (Fremd-)Kontrolle von menschlichem Leben mit sich – eine inzwischen exponentiell sich beschleunigende Entwicklung, deren Auswirkungen immer schwieriger steuerbar zu werden drohen in eine dem menschlichen Leben und dem planetaren Leben insgesamt zuträgliche Richtung.