Die Unverfügbarkeit der Welt und das Scheitern des Verfügbarmachens der Moderne
Hartmut Rosa zeigt in seinem lesenswerten Buch „Unverfügbarkeit“ (Suhrkamp-Verlag)auf, wie sich moderne Gesellschaften entwickeln unter dem Diktat, ständig Wissen, Technik, Wachstum, Geschwindigkeit steigern zu müssen, um nicht zurückzufallen, sowie mit dem Versprechen einer Lebensverbesserung durch kontinuierliche Steigerung der individuellen und technisch vermittelten Weltreichweite. Er legt dar, dass dieses Versprechen zum Scheitern verurteilt ist, da mit Verfügbarmachen, Kontrolle, Nutzbarmachen und Beherrschen der Weltbezüge ein Verlust von Resonanzfähigkeit, von Beziehungsfähigkeit einhergeht, der die Welt als stumm und leblos und mehr noch bedroht und bedrohlich erscheinen lässt. Mit den dargelegten Gedankengängen und Zusammenhängen gelingt Hartmut Rosa eine hochaktuelle erhellende Zeitdiagnose, die die Richtung notwendiger Korrekturen im Weltbild und Selbstbild sowie im Umgang mit der uns umgebenden Mitwelt weist.
(Die folgenden Ausführungen sind bis auf die Kommentare Zitate und Zusammenfassungen des Buchinhalts)
Die Welt als Aggressionspunkt
Hartmut Rosas Leitthese lautet, „dass für spätmoderne Subjekte die Welt schlechterdings zum Aggressionspunkt geworden ist. Alles was erscheint, muss gewusst, beherrscht, erobert, nutzbar gemacht werden… Dahinter verbirgt sich ein schleichender Umbau unseres Weltverhältnisses.“
… „Das Alltagsleben durchschnittlicher spätmoderner Subjekte (der westlichen Welt) konzentriert sich und erschöpft sich mehr und mehr in der Abarbeitung von explodierenden To-do-Listen. Die Einträge auf diesen Listen bilden die Aggressionspunkte, als die uns die Welt begegnet: der Einkauf, der Anruf bei der pflegebedürftigen Tante, der Arztbesuch, die Arbeit, die Geburtstagsfeier, der Yogakurs: erledigen, besorgen, wegschaffen, meistern, lösen, absolvieren.
„Seit dem 18. Jahrhundert vollzieht sich auf allen Ebenen des institutionellen Lebens der westlich geprägten Moderne ein Strukturwandel, in dessen Folge die institutionelle Grundstruktur nur noch durch stetige Steigerung aufrechterhalten werden kann. Eine Gesellschaft ist modern, wenn sie sich nur dynamisch zu stabilisieren vermag, das heißt, wenn sie zur Aufrechterhaltung ihres institutionellen Status quo des stetigen (ökonomischen) Wachstums, der (technischen) Beschleunigung und Innovierung bedarf... Dabei verkehrt sich in der kulturellen Wahrnehmung die Steigerungsperspektive nach und nach von einer Verheißung in eine Bedrohung: Wachstum, Beschleunigung und Innovierung erscheinen nicht mehr als Versprechen, das Leben immer besser zu machen, sondern als apokalyptisch-klaustrophobische Drohung: Wenn wir nicht besser, schneller, kreativer, effizienter etc. werden, verlieren wir Arbeitsplätze, kommt es zu Firmenschließungen, sinken unsere Steuereinnahmen, während die -ausgaben steigen, kommt es zur Haushaltskrise, können wir unser Gesundheitssystem unser Rentenniveau …nicht mehr aufrecht erhalten... Es ist nicht die Gier nach mehr, sondern die Angst vor dem immer-weniger, die das Steigerungsspiel aufrechterhält. Es ist nie genug, … weil wir immer und überall wie auf Rolltreppen nach unten stehen: Wann und wo immer wir anhalten…, verlieren wir an Grund gegenüber einer hochdynamischen Umwelt, mit der wir überall in Konkurrenz stehen.“
Die Weltreichweitenvergrößerung
Neben der Angst vor dem Zurückfallen „muss als zweites Antriebsmoment (aber) eine positive, attraktive Kraft im Spiel sein, und diese lässt sich in der Verheißung der Weltreichweitenvergrößerung identifizieren.“ ... „Bis in die feinsten Poren unseres psychischen und emotionalen Lebens hinein“ hat sich die „wirkmächtige Vorstellung entwickelt... Unser Leben wird besser, wenn es uns gelingt, (mehr) Welt in Reichweite zu bringen… Handle jederzeit so, dass deine Weltreichweite größer wird.“
Die Geschichte der Rundfunkmedien vom Radio über das Telefon zum Fernsehen bis zum Smartphone hat die uns nahe und ferne Mitmenschen, aber auch „das Weltwissen, alle Lieder, alle Filme, alle Bilder, alle (digitalisierten) Daten nur noch einen ‚Klick‘ weit entfernt sein“ lassen. „Die Welt rückt uns auf historisch beispiellose Weise zu Leib.“
„Die soziokulturelle Formation ist ... geeicht auf die Verfügbarmachung:Wir sind strukturell (von außen) dazu gezwungen und werden kulturell (von innen) dazu getrieben, die Welt zum Aggressionspunkt zu machen; sie erscheint uns als das, was es zu wissen, zu erschließen, zu erreichen, anzueignen, zu beherrschen und zu kontrollieren gilt… sie schneller, leichter, effizienter, billiger, widerstandsloser, sicherer verfügbar zu haben“
Vier Dimensionen der Verfügbarkeit
werden von Hartmut Rosa benannt:
1. Sichtbar, erkennbar machen
2. Erreichbar bzw. zugänglich machen
3. Beherrschbar machen und
4. Nutzbarmachen, Indienstnahme
als Instrument für unsere Zwecke. Das, was da und gegenwärtig ist, wird dabei instrumentalisiert und zum Material und Objekt unserer je eigenen Projektionen und Wünsche transformiert.
Die Technikentwicklung macht die wissenschaftlich erschlossenen Weltausschnitte beherrschbar und bringt sie unter Kontrolle. Die ökonomische Entwicklung mit dem Kapital-getriebenen Steigerungsprogramm ‚Geld-Ware-mehr Geld‘ stellt die Ressourcen bereit, sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch für die einzelnen Individuen, die sich die Welt konsumtiv durch Erwerb von Gütern, Wissen, Instrumenten privat verfügbar machen. Und rechtliche Regelungen und politisch-administrative Apparate übernehmen die Aufgabe, die sozialen und kulturellen Voraussetzungen und Folgen des Reichweitenvergrößerungsprogramms unter Kontrolle zu bringen, die sozialen Prozesse berechenbar und steuerbar zu machen. Das immer weitere Anwachsen von Regularien, Vorschriften und Gesetzen ist der manifeste Ausdruck des Versuches, das soziale Leben planbar und verfügbar im Sinne des Justitiablen zu machen.
Der ubiquitäre Kampf um Macht lässt sich in allen Hinsichten als Kampf um Verfügungsgewalt und damit Weltreichweite verstehen, oft auf Kosten anderer.
Das rätselhafte Zurückweichen der Welt
Die paradoxe Kehrseite des Verfügbarmachens ist das rätselhafte Zurückweichen der Welt. „Die wissenschaftlich und technisch, ökonomisch und politisch verfügbar gemachte Welt scheint sich uns auf geheimnisvolle Weise zu entziehen und zu versperren… sie wird unlesbar und stumm, und mehr noch: Sie erweist sich als bedroht und bedrohlich gleichermaßen und damit als letztlich konstitutiv unverfügbar.“ „Weltverlust bezeichnet geradezu elementare und konstitutive Grundangst der Moderne.“ Dieser Weltverlust wird anhand der Äußerungen mehrerer Soziologen und Philosoph(inn)en erläutert, von denen zwei hier erwähnt werden. Karl Marx hat in seinen Frühschriften, den ökonomisch-philosophischen Manuskripten, das veränderte Verhältnis zur Arbeit thematisiert. „Der menschliche Weltbezug (ist) ganz wesentlich dadurch bestimmt, dass wir die Welt (in Form der uns umgebenden Natur) bearbeiten müssen …. um uns zu ernähren,zu bekleiden und zu behausen etc. Anders als bei anderen Lebewesen ist der elementare Stoffwechselprozess mit der Natur beim Menschen also durch Arbeit, durch Umformung der Natur vermittelt… In diesem Prozess des Arbeitens an der Natur (formt) sich das Subjekt zugleich selbst und erzeugt sich in gewisser Weise sogar.“ Das so geformte Wesen des Menschen verändert sich im Laufe der historischen Entwicklung mit der Entwicklung von Wissen und Instrumenten. Dieser Prozess ist somit kein einfaches ‚Aneignen‘, sondern buchstäblich ein (gegenseitiges) ‚Anverwandeln‘. Nach Marx ist der Prozess der Anverwandlung in der Moderne fundamental gestört, weil die Welt nun nur noch angeeignet wird. Die entstandene vierfache Entfremdung unter kapitalistischen Verhältnissen zeigt sich bei den (Lohn-) Arbeitenden: Sie sind vom Produkt der Arbeit, das ihnen nicht gehört, entfremdet, sie sind vom Prozess der Arbeit entfremdet, sie sind von der zu bearbeitenden Natur entfremdet, die ihnen nur noch als ökonomisierbarer Rohstoff oder Gestaltungsobjekt entgegentritt. Das bedeutet, die Selbst- und Weltbegegnung in der Arbeit wird zum bloß äußeren Mittel, zum Geldverdienen. Schließlich ist auch die soziale Welt von Entfremdung geprägt, weil man im stetigen existentiellen Wettbewerb steht, sich als Konkurrenten in latenter Feindschaft begegnet.
Max Weber, einer der Gründerväter der modernen Soziologie, hält das „Weltverhältnis, in dem die Menschen nicht arbeiten um zu leben sondern leben um zu arbeiten und zu akkumulieren, für zutiefst irrational.“ Er versteht es „als Teil und Ergebnis eines großen ‚abendländischen Rationalisierungsprozesses‘, dessen Kern darin besteht, die Welt und das Leben wissenschaftlich und technisch, ökonomisch, juristisch und politisch und schließlich auch in der alltäglichen Lebensführung berechenbar, beherrschbar und erwartbar zu machen... Weber diagnostiziert einen fortschreitenden Prozess der Entfremdung bzw. des Weltverstummens…, der ‚Entzauberung‘.“ Die beherrschbar gemachte Welt „verliert nicht nur ihre Magie und Farbe, sondern auch ihren Sinn, ihre Stimme, sie ‚erkaltet‘ zu einem stahlharten Gehäuse, in dem ökonomische und bürokratische Vernunft die Steigerungsprozesse gleichsam blind und leer vorantreiben, bis die Menschen zu einem ‚Nichts‘ geworden sind, das sich einbildet, eine nie zuvor erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.
Kommentar: hier drängen sich geradezu die Prognosen, Versprechungen und Warnungen namhafter Wissenschaftler und Experten zu einer KI gesteuerten Welt auf, bei denen der Mensch zum Teil nur noch als in seiner Intelligenz zurückgebliebenes, zu beherrschendes Anhängsel steuernder KI-Systeme gedacht wird – eine sich potenziell beschleunigende Entwicklung, die Max Weber sich noch gar nicht hat ausmalen können.
Resonanzfähigkeit als essentieller Teil des Welterlebens
Der Aggressionsmodus wird dort zum Problem, wo er zum Grundmodus jeglicher Lebensäußerung wird. Menschen sind stets in der Welt, sie finden sich immer schon eingelassen in, umhüllt von und bezogen auf eine Welt als Ganzes. Responsivität oder Resonanzfähigkeit gehört zur Essenz (nicht nur) menschlichen Daseins. Resonanz bezeichnet hier nicht nur eine bestimmte Erfahrung, sondern einen Beziehungsmodus, der durch vier Merkmale bestimmt werden kann:
1. Das Moment der Berührung oder Affizierung:
Etwas ruft uns an, bewegt uns von außen. Das Subjekt wird durch die Welt so affiziert, berührt, dass es ein intrinsisches Interessen an dem begegnenden Weltausschnitt entwickelt, sich ‚adressiert‘ fühlt.
2. Das Moment der Selbstwirksamkeit, der Antwort
Diese besteht in einer eigenen Antwort, einer nach außen sich wendenden inneren Bewegung (E-motion), verbunden mit leiblichen Reaktionen (Gänsehaut,Wärme, Herzschlag etc.) oder z.B. die eigene als wirksam erlebte antwortende Stimme.
3. Das Moment der Anverwandlung (Transformation)
Resonanzerfahrungen verwandeln uns, und eben darin liegt die Erfahrung von Lebendigkeit. Ohne selbstwirksames Antworten auf die zahlreichen Stimmen da draußen herrscht Depression, sind wir innerlich tot und erleben wir unsere Umwelt und Mitwelt als tot, leer, stumm. Resonanzbeziehungen sind somit dadurch gekennzeichnet, dass sich mit und in ihnen Subjekt und begegnende Welt verändern. Demgegenüber ist reine Aneignung eine Beziehung der Beziehungslosigkeit.
4. Resonanz ist konstitutiv unverfügbar,
das heißt nicht durch Willensentschluss veränderbar, nicht vorhersagbar, sie lässt sich nicht instrumentell steigern oder speichern, nicht erkämpfen. Die transformativen Effekte einer Resonanzbeziehung entziehen sich stets der Kontrolle und Planung der Subjekte, sie sind ergebnisoffen. „Die Funktionsweise der Werbung und der kapitalistischen Warenwirtschaft überhaupt beruht darauf, dass sie unser existenzielles Resonanzbedürfnis (=Beziehungsbegehren) in ein Objektbegehren übersetzt.“
Resonanz impliziert eine zweiseitige Begegnung, Offenheit für das Unerwartete, dass eine Person auch ‚nein‘ und ‚nicht jetzt‘ sagen kann (alles andere wäre eine resonanzlose Echobeziehung). Das, worüber wir vollkommen verfügen können, verliert seine/ihre Resonanzqualität (das muss funktionieren, wie z.B. der PC, sonst kommt Ohnmacht und Wut auf). Resonanz erfordert ein Gegenüber, das quasi mit eigener Stimme spricht. Das Gegenüber bleibt immer ein Anderes, Fremdes, ein sich immer auch Entziehendes oder Widersetzendes. Tiefe Resonanzerfahrung kann nur entstehen, wenn das Andere zugleich als (unverfügbares) Anderes bewusst bleibt. Selbst Dingen kann dieser Eigensinn zugeordnet werden.
Kommentar: Hier füge ich eine Erkenntnis hinzu: Dass Respekt der Liebe vorausgeht. Die Achtung vor dem Anderen (Menschen, aber auch Lebewesen, der unbelebten Natur) ist Grundvoraussetzung aller liebenden Beziehung.
Das Festhalten, Beherrschen, Verfügbarmachen eines Weltausschnittes demgegenüber zerstört die Resonanzerfahrung. Nur wenn wir beispielsweise den Eigensinn des noch zu verfassenden Textes nicht als zu bewältigenden Aggressionspunkt wahrnehmen, ihn nicht abarbeiten, sondern in innerer resonanter Auseinandersetzung mit ihm sind (mit teils offenem Ausgang), gelingt Sinnerfahrung, eine sich mit dem Thema verbindende eigene Stimme. Hier gehört auch die Flow-Erfahrung hin, bei der wir uns nicht über- und nicht unterfordert fühlen und etwas gelingt, was nicht vorhersehbar und nicht nur mit dem eigenen Vermögen restlos erklärbar ist, sondern einem geschieht.
Die Theologie bringt – so Hartmut Rosa – ein Grundelement im menschlichen Weltverhältnis auf den Punkt, von soziologischem, philosophischem und psychologischem Interesse - auch unabhängig von allen theologischen Annahmen über ein Wesen Gottes. Im jüdisch-christlichen Gottesbild wird Gott als prinzipiell unverfügbar gedacht, jedoch als wechselseitig erreichbar und bezogen. Der Mensch soll auf Gottes Wort hören, Gott lässt sich im Gebet erreichen. Ob sich Resonanz einstellt und was ihr Ergebnis ist, ist unverfügbar. Anders als bei magischen oder alchimistischen Praktiken, die manipulativ auf ein bestimmtes Ergebnis zielen, geht es um ein entgegenkommendes, zu erspürendes Antwortgeschehen. „Konzeptionen der Gnade oder Gabe legen nahe, dass das ‚Entgegenkommen‘ zwar nicht verdient, gefordert oder erzwungen werden kann – daher der Geschenkcharakter der Gnade -, dass es aber auf einer Erreichbarkeit basiert, zu der das empfangende Subjekt durchaus beitragen kann“, indem es für die Gnade/Gabe empfänglich ist.
Die strukturelle Notwenigkeit der Verfügbarmachung als Grundkonflikt zum resonanten Weltbezug
Der Modus der dynamischen Stabilisierung der modernen Gesellschaft erfordert/erzwingt eine ständige Ausdehnung der Weltreichweite und damit strukturell ein Programm der unbegrenzten Verfügbarmachung, schreibt somit das aggressive Weltverhältnis fest. Firmen und Behörden sind zur Optimierung angehalten, in kürzester Zeit das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. „Berechnen und Beherrschen sind die Grundmodi in Wirtschaft, Politik, Pflege,Bildung usw.“ Auch bei der Psychotherapie heißt es: „ Der Output muss stimmen, und er muss zeitlich und inhaltlich berechenbar und beherrschbar sein.“ Die wohlbegründeten Gebote der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit verlangen systematischen Ausschluss von Willkür und Vorteilsnahme. Nur: Ein Geflecht von rechtlichen Bestimmungen und behördlichen Regularien versucht auf diese Weise alle Zu- und Wechselfälle des Lebens gleichsam a priori verfügbar zu machen. Dadurch entstehen neue Ungerechtigkeiten, die mit neuen Regelungen eingedämmt werden, die wiederum an anderer Stelle nicht-beabsichtigte unmenschliche Härten erzeugen. Beim Versuch, das soziale Leben rechtlich und bürokratisch immer umfassender verfügbar zu machen, wird die unverfügbare Dynamik sozialer Prozesse nahezu zum erliegen gebracht; wie ein Mehltau legen sich die rechtlichen Bestimmungen, Prozessregeln und Verfahrensvorschriften darüber.
Außerdem werden alle Weltbezüge bequemer gemacht. Dienstleistungen werden warenförmig angeboten, Konsum immer leichter zugänglich. Qualitätssicherung muss, das was man bezahlt hat, auch dann verfügbar machen, garantieren, wenn Unverfügbares (wie z.B. das Wetter bei Urlaubsreisen, Ameisen auf der Terrasse der Ferienwohnung …) eintritt. Schließlich wird über das Transparenz- und Dokumentationsgebot Verantwortlichkeit kontrolliert – mit bekannten Folgen, dass Dozenten keine Zeit mehr für die Studenten, Ärzte keine Zeit mehr für ihre Patienten, Pflegepersonal nicht mehr für die zu Pflegenden haben etc. Wo essentiell Unverfügbares nur als Noch-verfügbar-zu-Machendes begriffen wird, schwindet die Erfahrungsmöglichkeit, lässt sich kein Antwortverhältnis entwickeln.
Der Drang zur totalen Verfügbarmach ung setzt für Theodor W. Adorno schon in der Art zu denken an, die er als „identifizierendes Denken“ brandmarkt: Man habe die Dinge, Prozesse, Ereignisse ihrem Wesen nach erfasst, auf den Begriff gebracht, verfügbar gemacht. Das Andere, Unverfügbare der Welt, geht dabei verloren und damit die Erfahrung von Lebendigkeit. Der verdinglichende, geradezu tötende sprachliche und geistige Zugriff wird in einem Gedicht von Rainer Maria Rilke auf den Punkt gebracht:
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist der Beginn und das Ende dort.
Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar: ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind statt und stumm. Ihr bringt mir alle die Dinge um.