Einschätzung der Lage in Israel und in Gaza unter dem Gesichtspunkt der legitimen Sicherheitsinteressen Israels

Der Staat Israel ist umzingelt von feindlichen Staaten/Terrororganisationen, die ihm nicht nur das Existenzrecht absprechen, sondern schon lange mit Raketen dessen Territorium angreifen. Für Deutschland ist es eine selbstverständliche Pflicht, Israel bei der Sicherung seiner Existenz auch militärisch zu unterstützen. Die nationalsozialistische Vergangenheit und der Holocaust bedeuten dabei eine besondere Verpflichtung, wie es auch in dem Wort „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“ zum Ausdruck kommt.

 

Nach dem unvorstellbar grausamen Massaker und den Gräueltaten des 07.Oktober 2023, nach der Geiselnahme und dem anhaltenden Raketenbeschuss aus Gaza und Libanon war Israel gezwungen, in den dicht besiedelten Gazastreifen einzurücken, um den Raketendauerbeschuss zu beenden, die Geiseln zu befreien und die Hamas soweit zu verfolgen, dass sie ihre Kampfkraft absehbar einbüßt.

 

Dass die Armee im Auftrag der Regierung in den Libanon einmarschiert ist, gezielt Stützpunkte der Hisbollah im Land bombardierte hat, auch deren Führungsriege getötet hat, war nicht nur eine Antwort auf die fortlaufenden Raketenattacken und die Unbewohnbarmachung von Israels Nordregion sondern auch Antwort auf die erklärte Absicht der Hisbollah, die Existenz des israelischen Staates zu vernichten. Israel hat mit seinen gezielten Militäraktionen erreicht, dass die bisher nicht wirksame UNO-Resolution 1701 von 2006 zum Schutz des Landes endlich umsetzbar geworden ist. Die Militäraktionen dienten nachvollziehbar den Sicherheitsinteressen Israels. Die gelungene Schwächung der Hisbollah könnte sogar zu einer Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Libanon beitragen.

 

Auch die derzeitige Bombardierung von Waffendepots und Militäranlagen des gestürzten Assad-Regimes ist - wenn auch völkerrechtlich fraglich – so doch unter Sicherheitsgesichtspunkten nachvollziehbar angesichts der Unklarheit, welchen politischen oder gar dschihadistischen Kräften diese militärischen Mittel in die Hände fallen könnten, und angesichts der Möglichkeit, dass sie unter chaotischen Verhältnissen in Syrien der Hisbollah zur Wiederaufrüstung dienen könnten.

 

Dass das militärische Vorgehen im Gazastreifen mit ungeheuer hohen Verlusten der Zivilbevölkerung einherging, war sicher auch der dichten Besiedlung, der gezielten Taktik der Hamas, zivile Einrichtungen als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, der schwierigen Eroberung des weitläufigen Tunnelsystems, mit zuzuschreiben, Jedoch gab es schon im Laufe des letzten Jahres zahlreiche Hinweise auf gravierende Verletzungen des Völkerrechts, auf Folter und Be- bzw. Verhinderung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, auf Zerstörung von lebensnotwendiger Infrastruktur.

 

Netanjahu und sein rechtsextremes Kabinett haben durch die militärischen Erfolge im Norden von Israel innenpolitisch deutlich mehr Rückhalt gewonnen. Dadurch sind sie in die Lage versetzt worden, für ihr ungebremstes völkerrechtlich bedenkliches Vorgehen in Gaza und für ihr gleichgültiges Verhalten dem Schicksal der Geiseln gegenüber innenpolitisch nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zusätzlich gab der bevorstehende Präsidentenwechsel in den USA Anlass, militärisch ohne Rücksicht auf die zivile Bevölkerung in Gaza neue Fakten zu schaffen.

 

Was in den letzten Monaten durch die israelische Armee im Gazastreifen vorangetrieben wird, hat wenig mit dem Ziel, die Geiseln zu befreien, oder damit, die Kampfkraft der Hamas zu schwächen, zu tun. Die Führungsriege der Hamas ist tot, von wesentlichen Kampfhandlungen ist nicht mehr viel zu hören. Stattdessen wird von der von rechtsradikalen Politikern beherrschte Regierung unter Netanjahu eine grausame Vertreibung der Bevölkerung aus Nord-Gaza systematisch verfolgt: Die Reste der noch vorhandenen Infrastruktur werden ohne militärische Notwendigkeit gezielt zerstört, sämtliches Eigentum der Bewohner vernichtet, Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt, auch das letzte Krankenhaus in Nord-Gaza anlasslos zerbombt, die dort noch notdürftig versorgten Kranken, Verwundeten, Kinder, Frauen dem Tod und dem Elend überantwortet. Menschen werden mit Waffengewalt und Aushungern obdachlos gemacht und immer wieder aufs Neue vertrieben. Die gesamte Bevölkerung des Gaza-Streifens wird unter völlig entmenschlichte Bedingungen gezwungen und ihr die Nahrungs- und Lebensgrundlagen entzogen. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass es nicht mehr um die Sicherheitsinteressen Israels, nicht mehr um legitime Kriegsziele geht, sondern darum, Vorbedingungen für eine Besetzung von Nord-Gaza und für die bereits öfter schon von Mitgliedern der Regierung angekündigten Annektion zu schaffen (Quelle: Der Spiegel Nr. 52, 21.12.2024, Seite 76 – 80). Sollte es zur Durchführung dieses in Vorbereitung befindlichen Vorhaben kommen, würde es zu weitreichenden schwerwiegenden Konsequenzen führen mit Wirkung weit über den Nahen Osten hinaus. Weil dieses Schreckensszenario einzutreten droht, ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass die internationale Staatengemeinschaft hier unmissverständliche Signale setzt.

 

Vor allem Deutschland darf dem nicht weiter einfach nur zusehen. Insbesondere unsere historische Verpflichtung gegenüber Israel gebietet, hier mit dafür Sorge zu tragen, dass dieses Vorgehen gestoppt wird. Das gewonnene Mehr an Sicherheit für Israel durch die massive Schwächung von Hisbollah und dem Iran, durch den Sturz von Assad droht durch das Vorgehen im Gazastreifen absehbar zunichte gemacht werden:

 

1. Eine Besetzung von Nord-Gaza würde fortgesetzte schwere Verletzungen von Menschenrechten zur Folge haben; die Annektion würden die endgültige Entrechtung und Enteignung der Bevölkerung von Nord-Gaza voraussetzen.

 

2. Die aus Nord-Gaza vertriebenen Palästinenser müssten zusammengepfercht in Rest-Gaza ohne menschenwürdige Lebensbedingungen und ohne nur annähernd hinreichende Lebensgrundlagen ein entwürdigendes, von Hunger und Seuchen bedrohtes Leben führen – für einen erheblichen Teil der Bevölkerung ein Todesurteil.

 

3. Innenpolitisch würde es zu einer weiteren Stärkung des rechtsextremen Regierung kommen. Die Gesetze zur Entmachtung des obersten Gerichtes würden in Kraft treten, die Opposition und die demokratischen Kräfte soweit geschwächt, dass auch die demokratischen Rechte der israelischen Bevölkerung von Einschränkungen bedroht würden.

 

4. Besonders betroffen von dem Rechtsruck wäre der arabisch- palästinensische Teil der israelischen Bevölkerung. Diskriminierungen und Beschränkungen ihrer Rechte würden voraussehbar zunehmen.

 

5. Auch ist mit einer Zunahme terroristischer Anschläge in Israel zu rechnen, die eine weiter Spirale der Einschränkungen der Individualrechte nach sich ziehen könnte.

 

6. Die Besetzungen und Vertreibungen im Westjordanland würden sich weiter intensivieren und zu einer weitgehenden Entrechtung aller dort lebenden Palästinenser führen.

 

7. Die westliche Staatengemeinschaft käme aus einem Dilemma nicht mehr heraus: Die weitere Unterstützung eines fortgesetzt gegen demokratische Regeln und Völkerrecht verstoßende israelische Regierung würde international zu einem kaum zu reparierenden Glaubwürdigkeitsverlust führen. Andererseits sind mit einem starken israelischen Staat globale Sicherheitsinteressen verbunden, wie beispielsweise die Eindämmung und Isolation des nach Atomwaffenbesitz strebenden Iran.

 

8. Eine Besetzung von Nord-Gaza ohne Einschreiten des Westens würde die widerstandslose endgültige Aufgabe der stets geforderten Zweistaatenlösung bedeuten und zu einer Mitverantwortung für die fortschreitende Entrechtung und der Entmenschlichung des Umgangs mit der Bevölkerung des Gazastreifens und des Westjordanlands bedeuten.

 

9. Ein weiteres tatenloses Zu- bzw. Wegschauen oder die Nichtauslieferung der verantwortlichen israelischen Politiker würde eine schwere Schwächung des Internationalen Gerichtshofs bedeuten, wenn nicht sogar einen weitgehenden Verlust seiner Glaubwürdigkeit und seiner Durchsetzungskraft bedeuten. Der Glaubwürdigkeitsverlust westlicher Demokratien würde zur Stärkung autoritärer Regime beitragen.

 

10. Das weiterhin ungebremste Vorgehen der rechtsradikalen Regierung in Israel dürfte zu massiver und anhaltender Verstärkung von Hass gegenüber Juden in der Welt führen und Juden und jüdisches Leben in aller Welt mehr denn je gefährden.

 

Fazit :

Eine uneingeschränkte Unterstützung Israels durch Deutschland kann, solange eine völkerrechtswidrig handelnde Regierung an der Macht ist, nicht mehr verantwortet werden. Die deutsche Regierung muss ein Zeichen setzen.

 

1. Zu fordern ist im ersten Schritt, dass keine Waffen mehr von Deutschland nach Israel exportiert werden. Mögen die deutschen Waffenexporte auch rein militärisch gesehen keine wesentlichen Auswirkungen entfalten können, so haben sie doch eine hohe Symbolkraft, da Deutschland weltweit als eines der unverbrüchlich zu Israels stehenden Länder gilt.

 

2. Gerade die Verpflichtung Deutschlandes gegenüber Israel, der Sicherheit Israels als Staatsräson gerecht zu werden, gebietet der deutschen Regierung, alles ihr Mögliche zu tun, damit es nicht zu einer Besetzung und Annektion von Nord-Gaza kommt, um den Staat Israel vor den absehbaren schwerwiegenden Folgen zu schützen. Es würde damit auch die demokratischen Kräfte in Israel vor der immer weiter nach rechtsaußen abdriftende Regierung stärken.

 

3. Die deutscher Regierung sollte umgehend nach Möglichkeiten suchen – so gering auch die Aussichten auf Erfolg unter der neuen Trump-Regierung auch sein mögen –, auch die US-Regierung für ein vorübergehendes Waffenembargo zu gewinnen, um die israelische Regierung von der folgenschweren Fehlentscheidung einer Besetzung und Annexion von Nord-Gaza abzuhalten. Nicht damit gemeint ist die Raketenabwehr zum Schutz der Zivilbevölkerung.

 

4. Die deutsche Regierung sollte mit anderen demokratischen Staaten umgehend nach politischen Lösungsmöglichkeiten für die Entmilitarisierung, die Friedenssicherung, die Versorgung der Bevölkerung und den Wiederaufbau des Gaza-Streifens unter internationaler Kontrolle suchen und diese Israel gegenüber einfordern. Dazu könnte ggf. eine Uno-Sicherheitskonferenz angeregt werden.

 

Diese Forderungen sollten an den Bundeskanzler, den Außenminister, an den Deutschen Bundestag und/oder an die Bundestagsabgeordnete vor Ort gerichtet werden. Jeder kann sich an unsere politisch Verantwortlichen wenden und die Stimme für die Achtung von Völkerrecht, Menschenrechte und Menschenwürde einzufordern und eine Positionierung gegen den Irrweg der israelischen Regierung zu verlangen.